KATHARINA WITTER: Anmerkungen zur jüdischen Geschichte von Themar. Teil 2: Die jüdische Gemeinde in Themar
Wir haben im ersten Teil gesehen, dass sich in den 1860er Jahren – verstärkt nach dem Brand von 1866 – viele jüdische Einwohner von Marisfeld zum Umzug v.a. nach Themar entschlossen haben. In Marisfeld blieb ein immer kleiner werdender Teil der jüdischen Gemeinde zurück, der aber noch einige Jahre den Sitz der Kultusgemeinde behaupten konnte. Insbesondere spielte diesbezüglich der Standort der Synagoge eine große Rolle. Der Religionsunterricht für die jüdischen Kinder wurde aber bereits relativ bald separat auch in Themar abgehalten. So nahm z.B. der Landrabbiner Dreifuß am 24. Februar 1868 die Religionsprüfung für die Themarer Kinder separat bei seiner Rückreise aus Marisfeld vor.(1)
In Themar siedelten sich nicht nur Juden aus Marisfeld, sondern auch aus anderen Orten an, wie z.B. der von unbekannt 1866 nach Themar zugezogene Dr. med. Bernstein, der an die in der Nähe befindliche Kultusgemeinde Marisfeld gewiesen wurde. (Sein Name taucht später in den Akten nicht mehr auf). Die meisten Zuzügler kamen aber aus den nahegelegenen jüdischen Gemeinden von Berkach, Walldorf und Bauerbach. Es blieb nicht aus, dass die wachsende Zahl jüdischer Einwohner bestrebt war, ihre kultischen Bedürfnisse vor Ort zu organisieren. So verwundert es nicht, dass der Landrabbiner Dreifuß in seinem Generalbericht über die Synagogenvisitationen in den israelitischen Gemeinden des Herzogtums pro 1867 ausführte, “dass die von Marisfeld nach Themar gezogenen Israeliten … sich zwar noch nicht als selbstständige Cultusgemeinde constiuirt [haben], sie haben aber Sorge getragen, daß sie in einem eigends dazu gemietheten Locale, einen alt-sabbatlichen Gottesdienst halten. Das Vorbeteramt versieht ein Laie, d.h. ein Familienvater aus ihrer Mitte. Wenn auch ein derartiger Gottesdienst Mängel mancherlei Art darbietet, so ist es doch bei Weitem besser, als wenn gar kein Gottesdienst statt fände. Bei der weiten Entfernung Themars von Marisfeld würden die in Themar wohnenden Israeliten selten oder gar nicht nach Marisfeld gehen und würden dem öffentlichen Gottesdienste ganz entwöhnt und entfremdet werden.”(2) Daraufhin ordnete das Staatsministerium am 25. Okt. 1867 an, dass auf Regulierung der gottesdienstlichen Verhältnisse hinzuwirken sei.
1868 hieß es im Generalbericht: “Die in Themar wohnenden Israeliten bilden bis jetzt keine selbstständige Gemeinde, haben aber doch für ein Betlocal und für ein Local zur Abhaltung des Religionsunterrichts Sorge getragen. Der Gottesdienst in Themar wird nach eingezogener Erkundigung ordnungsmäßig abgehalten. Ich habe übrigens den Vorbeter und den Synagogenvorstand auf Manches aufmerksam gemacht was hoffentlich auch befolgt werden wird. Die sonstigen Zustände sind ziemlich befriedigend.”(3)
Auch der Generalbericht … pro 1869 vermeldete, dass “die in Themar wohnenden Israeliten (15 Familien ungefähr) … sich einen Betsaal gemiethet [haben], allwo allsabatlich Gottesdienst gehalten wird.”
Offensichtlich wurden diese Generalberichte von der Meininger Kultusbehörde aber nicht sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, denn der Landrabbiner äußerte sich am 25. Oktober 1870 sehr verwundert über die folgende Anweisung des Staatsministeriums: “Bevor ein israelitischer Gottesdienst in Themar eingerichtet wird, sehen wir einer besonderen Vorlage darüber entgegen.”(4) “Hierauf erlaube ich mir zu bemerken, daß die in Themar wohnenden Israeliten schon seit geraumer Zeit einen Gottesdienst haben und daß dieser bei der Vornahme der Einweihung des neuen Betsaals meinerseits geordnet wurde und zwar auf Grundlage der Synagogenordnung. Der Gottesdienst gleicht also dem der andren israel. Cultusgemeinden des Herzogthums, namentlich dem in den israel. Cultusgemeinden in Meiningen und Hildburghausen.” In seinem Generalbericht für 1870 vom 30. September führte er aus, dass demnächst ein neuerbauter Betsaal von ihm eingeweiht werden solle, in dem ein geregelter Gottesdienst abgehalten werden könne. Wünschenswert sei daher, dass Themar eine eigene Gemeinde bilden würde, deren Filiale Marisfeld werden solle.(5)
Dazu sei auch der Umzug des Lehrers von Marisfeld nach Themar wünschenswert, wofür die mittlerweile wesentlich höhere Schülerzahl von einigen 30 in Themar im Vergleich zu 13 in Marisfeld (6) spräche. Das Staatsministerium widersetzte sich aber noch einer Verlegung des Wohnsitzes des Lehrers von Marisfeld nach Themar, da in der Stadt der Lehrer nur den Religionsunterricht zu erteilen habe, während in Marisfeld zu diesem Zeitpunkt wohl noch eine eigene jüdische Volksschule bestand. Die israelitischen Kinder von Themar besuchten dagegen, sofern sie nicht eine höhere Schule absolvierten, gemeinsam mit den christlichen die Themarer Bürgerschule. Davon waren im Jahre 1868 bereits 20 Schüler betroffen. Aus dem gemeinsamen Schulbesuch ergab sich Regelungsbedarf hinsichtlich verschiedener unterschiedlicher Gepflogenheiten, die sich aus den beiden Religionen ergaben. Die darauf bezüglichen Vorschriften stammten noch aus dem Jahre 1845, als die jüdischen und christlichen Gemeinden prinzipiell noch getrennte Schulen unterhielten. Dies betraf z.B. die an den jeweiligen Feiertagen ausgerichteten Ferientermine. Es musste für die jüdischen Kinder eine Regelung gefunden werden, die die wichtigsten israelitischen Feiertage berücksichtigte, da sie ja nun zwangsweise auch an den christlichen zu Hause bleiben würden. In seinem Gutachten empfahl der Landesrabbiner Folgendes: Die herkömmliche Ferienregelung gilt nur für israelitische Schulen unter einem israelitischem Lehrer. Sie waren in erster Linie wegen der Verpflichtungen der Lehrer festgelegt worden. Eine Ausnahme “müssen aber diejenigen Tage machen, bei welchen das specifisch israelitisch-religiöse Element in Betracht und Erwägung gezogen werden muß. Dahin gehören nebst den Sabbattagen folgende hohe Festtage:
An den Sabathen und genannten Festtagen sollen Ferien sein, d.h. kein Schulzwang geübt werden, sondern der Schulbesuch den betheiligten Eltern überlassen bleiben.”(7) Alle anderen Feiertage fanden keine Berücksichtigung mehr. Ein israelitischer Vater namens Walter behauptete, dass alle israelitischen Kinder mit 13 Jahren konfirmiert würden, sein 13jähriger Sohn müsse Ostern aus der Schule entlassen werden. Diese Einstellung resultierte aus der Gewohnheit, die jüdischen Kinder in Marisfeld bereits mit 5 Jahren einzuschulen. Dies konnte natürlich in Themar mit dem späteren Schulbeginn nicht weitergeführt werden. (8) Es sollte noch einige Jahre dauern, bis es zu einer tatsächlichen Gemeindegründung in Themar kam. Dafür waren in erster Linie finanzielle Ursachen ausschlaggebend. Die Gründung einer eigenen Kultusgemeinde in Themar wurde immer wieder mit dem Umzug des Lehrers von Marisfeld nach dort verknüpft, da die Themarer fürchteten, dass damit höhere Kosten für sie verbunden seien, weil der bis dato gezahlte Staatszuschuss entfallen könnte.(9) Der um seine Stellungnahme gebetene Landrabbiner Dreifuß führte aus, dass er schon lange bekundet habe, “daß die Schul- und Cultuszustände in der Gemeinde Marisfeld-Themar sich in einem verschrobenen, verquickten und unnatürlichen Zustand befinden, indem der Sitz des Lehrers eigentlich nach Themar, allwo fast viermal so viel schulpflichtige Kinder als in Marisfeld sind, gehört. Von Seiten des hohen Staatsministeriums wurde allerdings der Versuch gemacht, diesem Uebelstand abzuhelfen, dieser Versuch scheiterte aber, wie uns durch Reskript vom 18. Juni 1873 erhellt, an der Weigerung der beiden Gemeinden, auf die projektierte Verlegung einzugehen. – Lehrer Ludwig ist in dieser Eingabe der Meinung, daß die Gemeinde Themar der beabsichtigten Verlegung des Wohnsitzes des Lehrers geneigter werden würde, wenn das hohe Staatsministerium die Versicherung ausspräche, daß die bis jetzt der Gemeinde Marisfeld zugefloßene Unterstützung aus Staatsmitteln von 110 fl. auch nach der Verlegung fortdauere. – Dazu käme noch, daß auch die israel. Gemeinde in Schleußingen – die allerdings keinen israel. Religionslehrer für ihre Kinder hat – sich zu einen nicht unerheblichen Beitrag an die Gemeinde Themar und deren Lehrer verstehen wolle, wenn sie in den Stand gesetzt würde, den Religionslehrer in Themar zur Ertheilung des Religionsunterrichts für ihre Kinder benützen zu können. Es ist wohl möglich, daß die Israeliten in Themar auf die Vorschläge eingehen, die in Marisfeld, … deren Gesinnung bekannt sind, schwerlich. – Ein Versuch könnte übrigens gemacht werden. Übrigens erlaube ich mir zu Schlichtung dieser Sache noch Folgendes zu bedenken. Wenn mein Gedächtnis mich nicht täuscht, ist bei der Bildung der hiesigen israel. Cultusgemeinde [Meiningen] im Jahre 1866 – allwo der Unterzeichnete mitzuwirken hatte, und ein analoges Verhältnis wie bei Marisfeld-Themar zwischen Dreißigacker-Meiningen obwaltete, ein Reskript durch das hohe Staatsministerium erlassen, in welchem Reskript das Recht (hergeleitet aus dem Mandate v. 4. Juni 1811) zuerkannt, den Israeliten des Herzogthums die Bildung einer israelitischen Cultusgemeinde aufzuerlegen, sobald diese an einem Orte so zahlreich zusammen wohnen, daß sie nach dem Ermessen der hohen Behörde eine Cultusgemeinde bilden können. Themar hat jetzt schon 19 israelitische Gemeindemitglieder mit ungefähr 30 Schulkindern, die alle wohlhabend sind, und im Laufe der Zeit Zuzug zu erwarten hat und kann eine Cultusgemeinde bilden. – Ist diese meine Voraussetzung richtig, so ist diese Angelegenheit leicht zu ordnen. Hohes Staatsministerium decretirt in kategorischer Weise, daß die in Themar wohnenden Israeliten sich als eine Cultusgemeinde zu constituiren haben, denen in Marisfeld wird frei gestellt, sich an die neugebildete Cultusgemeinde in Themar anzuschließen, oder aus eigenen Mitteln einen Lehrer zu bestellen. – Auf diese Weise ist diese Angelegenheit leicht und bald zu ordnen, und die jetzt verworrenen Schul- und Cultuszustände kämen auf den richtigen, den jetzigen Zuständen angemeßenen Standpunkt.”(10) Das Staatsministerium wies daraufhin den Landrat in Hildburghausen an, die Konstituierung einer eigenen Kultusgemeinde in Themar in die Wege zu leiten. Der Landrat lud demzufolge auch die jüdischen Einwohner von Themar und Marisfeld auf den 13. August 1874 nach Themar vor, um das Reskript des Staatsministeriums zu verlesen und die Äußerungen der Beteiligten dazu einzuholen. Während einige von vornherein gegen die Konstituierung einer Gemeinde in Themar votierten, waren andere dem zwar zugeneigt, befürchteten aber den Wegfall des bewussten Staatszuschusses und/oder wollten einen anderen Lehrer. Manche erklärten einfach, sich der Mehrheit anzuschließen. Die Marisfelder wollten ihre Kultusgemeinde nicht auflösen. Einige Gemeindemitglieder erklärten, nicht eingeladen worden zu sein. Der Landrat entschied zunächst, für den nächsten Amtstermin erneut einzuladen. Auch die Beratung am 10. September brachte kein wesentlich anderes Ergebnis. Am 8. Dezember 1874 berichtete Lehrer Leopold Ludwig dem Landrat, dass bereits seit Jahren ein Ausschuss (bestehend aus Samuel Gassenheimer und Samuel Bär) die Gründung einer Kultusgemeinde vorbereite. Von diesem sei er aufgefordert worden, nachstehende Eingabe an das Kirchen- und Schulamt zu richten des Inhalts, dass man eine Kultusgemeinde bilden würde, wenn Marisfeld Filiale und der bisher an Marisfeld gezahlte Staatszuschuss weitergezahlt werde.(11) Im Gegensatz dazu erklärte am 7. Januar 1875 der Kaufmann Samuel Bär, dass in Themar kein Ausschuss bestehe, man habe aber einen Vorstand und Rechnungsführer gewählt, der aus Samuel Gassenheimer (Vorstand) und ihm, Samuel Bär als Einnehmer bestehe. Die Darstellung Ludwigs sei insofern unrichtig, als auf einer Versammlung der in Themar wohnenden Israeliten 12 dafür und 7 dagegen gestimmt hätten, es solle aber das neue Schulgesetz abgewartet werden.(12) Erst im Oktober 1876 gab es wieder einen neuen Vorstoß in der Angelegenheit, und der Landrat lud die Betroffenen auf den 14. Dezember zu einer erneuten Beratung ein. In seinem Protokoll stellte er fest, dass 15 Personen für und 10 gegen die Verlegung des Lehrer-Wohnsitzes stimmten, außerdem äußerte Gabriel Schloß, er sei ermächtigt zu erklären, dass im Falle, dass diese Wohnsitzverlegung nicht gewünscht sei, in Themar sich dennoch eine unabhängige Kultusgemeinde konstituieren werde. Dagegen erhoben einige Mitglieder Widerspruch.(13) Die Marisfelder Gemeindemitglieder äußerten noch einmal schriftlich ihre Bedenken. In einem Bericht des Kreisschulamtes wurden die wichtigsten Punkte zuammengefasst:
– Die Bedenken gegen Lehrer Ludwig hatten in Themar abgenommen,
– Den Marisfeldern sollte die Möglichkeit der Bewahrung einer eigenen Kultusgemeinde nicht genommen werden, auch wenn ein Aussterben wegen Mitgliederschwunds absehbar sei.
Folgende Vorschläge wurden unterbreitet:
– Die Mitglieder der israelitischen Filialgemeinde Themar sollten eine bestimmte Erklärung darüber abgeben, ob sie eine selbständige Kultusgemeinde mit Unterhaltung einer eigenen Religionsschule oder einer vollständig organisierten Volksschule bilden wollten, dazu könnten sie auch nach §8 des Judenpatents vom 5. Januar 1811 gezwungen werden.
– Sie sollten erklären, ob sie gegen den zur Übernahme dieser Schule zu versetzenden Lehrer Ludwig etwas einzuwenden hätten.
– Ludwig sollte weiterhin dreiwöchentlich in Marisfeld Religionsunterricht erteilen und den Gottesdienst abhalten und dafür ca. 300 M erhalten.(14)
Das Staatsministerium schloss sich mit Reskript vom 5. März 1877 diesen Vorschlägen an. Den Marisfeldern sollte es überlassen bleiben, ob sie nach der Versetzung Ludwigs eine vollständige Schule auf eigene Kosten unterhalten oder ihre Kinder in die Ortschule schicken und nur den Religions- und Hebräisch-Unterricht durch Ludwig gegen 300 M erteilen lassen wollten.(15) Laut Bericht des Kreisschulamts vom 30. März 1877 erklärten sich die Themarer mit der Bildung einer eigenen Kultusgemeinde und der Versetzung Ludwigs einverstanden, wenn der Staatszuschuss zu seiner Besoldung weitergezahlt werde. Das Staatsministerium genehmigte am 10. April 1877 die Auszahlung von 300 M für Marisfeld aus der Hilfskasse. Damit war endlich die Grundlage für die Konstituierung der Kultusgemeinde Themar gelegt, unabhängig davon blieb Marisfeld eine eigenständige Gemeinde und wurde keine Filialgemeinde von Themar. Wie der Landrabbiner am 8. Juli 1877 berichtete, entschieden sich die Marisfelder dafür, ihre Kinder in der Ortsschule unterrichten zu lassen und keine eigenständige Volksschule mehr zu betreiben. Die Gemeinde in Themar habe sich bereits konstituiert. Lehrer Ludwig halte im Sommer 10, im Winter 9 Stunden Unterricht.(16) Wie aus den Gemeinderechnungen hervorgeht, wurden die Kultusbedürfnisse der Themarer Israeliten zuvor durch den Synagogenverein betrieben, der nun in die Kultusgemeinde überführt wurde.(17) Am 9. Juli 1877 wählten sie einen eigenen Synagogen- und Schulvorstand für die neugegründete israelitische Kultusgemeinde, dem Samuel Gassenheimer als Parnas, Mayer Müller als Rechnungsführer sowie Samuel Bär, Gabriel Levi Schloß und Heinemann Wangenheim angehörten.(18) Etwa zur gleichen Zeit erfolgte der Umzug des Lehrers Ludwig. Schon kurz nach der Konstituierung der Kultusgemeinde gingen die ersten Beschwerden über die Festsetzung der Abgaben für die einzelnen Gemeindemitglieder ein, die nicht nach der Grund-, Gebäude- und Klassensteuer, wie es das Gesetz eigentlich vorsah, sondern nach einer Schätzung unter Einbeziehung der familiären Verhältnisse erfolgt war.(19) Im Jahr 1879 nahm die Kultusgemeinde bei der Sparkasse in Themar einen Kredit von 1200 Mark zum Ankauf der Synagoge und deren Einrichtung auf.(20) Hierbei handelte es sich wohl um die obere Hälfte des Wohnhauses, das im unteren Teil von der Familie Steitz genutzt wurde. Am 17. Januar 1886 wurde von Parnas Mayer Müller der Antrag zur Genehmigung neuer Statuten gestellt, nachdem sie in der Fassung vom 11. Juni 1882 mit Nachtrag vom 6. September 1883 vom Staatsministerium zunächst als unzureichend befunden worden waren. Nun wurde dem Landrat in Hildburghausen am 8. Februar 1886 mitgeteilt: “In Gemäßheit höchster Entschließung seiner Hoheit des Herzogs wird auf Grund der Artt. 2 u. 16 des Gesetzes vom 22. Mai 1856 der in der Stadt Themar laut eines mit Protocoll hiermit erteilt.” Im neuen Statut war die Erhebung der gemeindlichen Abgaben endlich entsprechend den gesetzlichen Vorgaben geregelt worden,(21) Die Statuten wurden 1901 noch einmal geringfügig abgeändert. Eine weitere Änderung gab es 1910, nachdem die Vorstandswahlen nun für sechs statt bisher nur für drei Jahre durchgeführt werden sollten.(22). Die in der Kreisverwaltung Hildburghausen geführte Akte über die jüdische Kultusgemeinde Themar(23) enthält noch zahlreiche weitere Informationen zum jüdischen Leben in dieser Stadt. Neben den jeweiligen Vorstandswahlen finden sich Informationen über einzelne Vorfälle innerhalb der Gemeinde oder über strittige Fragen. So wurden Strafanzeigen über unanständiges Betragen in der Synagoge gestellt oder Beschwerden über das Nichterscheinen von Gemeindemitgliedern zu den Gemeindeversammlungen unter fadenscheinigen Vorwänden geführt. Das Rektorat der Bürgerschule beanstandete Fehlzeiten einzelner israelitischer Schüler am Samstag. Breiten Raum nimmt die von Lehrer Ludwig mit Gesuch vom 14. Februar 1879 gewünschte Aufstellung einer Orgel ein, die er auf eigene Kosten bewerkstelligen wollte, die aber einige Umbauten erforderlich machten. Er hielt die Orgelbegleitung zur Untermalung des Gesangs für sehr wichtig, hatte sogar von dem Orgelbauer Theodor Kühn ein solches Instrument für drei Jahre gemietet und argumentierte mit dem zusätzlichen Vorteil, “daß die in unserer Gemeinde sich befindenden 15 Mädchen, die aus Mangel an Platz dem Gottesdienste nicht beiwohnen können, nach § 55 der Synagogenordnung aber dazu verpflichtet sind, nun regelmäßig die Synagoge besuchen können, da durch die Entfernung der Frauenbänke von ihrem seitherigen Stande 20 Plätze gewonnen werden.”(24) Die meisten Gemeindemitglieder verweigerten dem Vorschlag aber in der Gemeindeversammlung vom 30. März 1879 ihre Zustimmung. Das Kirchen- und Schulamt Hildburghausen schlug daraufhin die Anschaffung eines Harmoniums vor, das im August 1883 tatsächlich erwähnt wird. Unklarheit herrschte darüber, ob 20-jährigen, die bereits Steuern zahlen, ansonsten aber Gehilfen im väterlichen Geschäft sind, ein Wahlrecht zustehe. Das Staatsministerium verwies auf eine analoge Verfahrensweise in den politischen Gemeinden nach den Grundsätzen des Gesetzes über das Gemeindewesen vom 11. März 1848. Im Jahre 1880 musste die Wahl eines neuen Vorstands um drei Monate verschoben werden, weil die erforderliche Anzahl von zwei Dritteln der Gemeindemitglieder nicht anwesend war. Der schließlich am 26. Dezember zum Parnas gewählte (Salomon?) Gassenheimer wollte dieses Amt aber nicht antreten, deshalb musste der Landrat eine Neuwahl anordnen. Hierauf erhielt Noa Grünbaum die meisten Stimmen, der aber bereits am 28. Januar 1881 um Entlastung aus gesundheitlichen Gründen unter Vorlage eines ärztlichen Attestes nachsuchte. Ein ähnliches Zeugnis legte auch Kaufmann Samuel Walther vor. Grünbaum tritt uns dennoch in der Folgezeit als Parnas entgegen. Weiterhin wurden Beschwerden über Löb Frankenberg geäußert, der sich als Schächter betätigte, obwohl Lehrer Ludwig dieses Amt ausübte. Mehrfache Unzufriedenheit mit seinen Wohnverhältnissen äußerte Lehrer Ludwig, der sich schließlich selbst eine Wohnung suchte, dafür aber eine entsprechende finanzielle Regelung wünschte. Im September 1883 genehmigte das Landratsamt eine Kapitalauf-nahme zur Anschaffung eines Leichenwagens. Im Winter 1885/86 führten die gesundheit-lichen Probleme des Lehrers Ludwig dazu, dass er seinen Verpflichtungen in Marisfeld nicht in vollem Umfang nachkommen konnte. Seine Forderung nach Stellung eines Wagens, der ihn nach Marisfeld transportieren könne, wurde abschlägig beschieden, auch sein Gesuch um Neuordnung seiner Besoldung führte nicht zu einer Besserstellung. Ludwig ging wohl davon aus, dass sein Gehalt mit den Lehrern der Bürgerschule gleichgestellt werde, dafür war aber die Zahl seiner Schüler zu gering. Dennoch bestand er auf einer Neuregelung seiner Besoldung und konnte immerhin eine gewisse Beihilfe von Seiten Marisfelds und eine Reduzierung seiner Fahrten nach dort aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme erreichen. Natürlich gab es auch innerhalb der Gemeindemitglieder Intrigen, so im Sommer 1886, als der Kaufmann Samuel Baer denunziert wurde, er habe die Brüder Oscar und Friedrich Steitz, die die untere Hälfte des Hauses bewohnten, in dem die Synagoge untergebracht war, dazu veranlasst, durch allerlei Unfug im Vorraum des Bethauses den Gottesdienst zu stören. Außerdem wurde er beschuldigt, die Steitz-Brüder angestiftet zu haben, dem Wertheimer “Goegertehoe”(25) nachzurufen, was er im Gegensatz zum ersten Vorwurf auch einräumte.(26) Aus dem gleichen Jahr stammt eine Akte, die sich mit der baulichen Veränderung der Synagoge befasst. Offensichtlich hatte man zunächst die Vorstellung, den im Hause Steitz untergebrachten Betraum durch Umbau zu vergrößern, wofür ein Vorschlag von Zimmermeister Röhrig eingeholt worden war. Dieser wurde gestützt durch ein – dann allerdings nicht der Wahrheit entsprechendes – Gerücht, dass die noch im Besitz der Familie Steitz befindliche und von ihr bewohnte Haushälfte zum Verkauf stünde. Der zugezogene Landbaumeister Rommel bestätigte das Bedürfnis nach einer größeren Synagoge, hielt aber das derzeit genutzte Gebäude wegen des mangelhaften baulichen Zustands für ungeeignet. Darüber hinaus stimmte die Witwe Steitz einem Umbau auch nicht zu. Rommel befürwortete einen Neubau. In der Folge wurde ein Synagogenbaukomitee unter Führung von Mayer Müller gewählt und eine entsprechende Kasse eingerichtet, deren Kassierer Noa Grünbaum wurde.(27) In den Folgejahren zerbrachen sich die Gemeindemitglieder den Kopf, wie man das Geld für eine neue Synagoge aufbringen könnte, u.a. dachte man an eine Lotterie. Im Dezember 1888 sah sich das Staatsministerium genötigt, dem gesundheitlich stark angeschlagenen Lehrer Ludwig einen Vikar zur Seite zu stellen. Die Wahl fiel auf Leo Kahn aus Bibra, damals in Saalmünster tätig.(28) Aufgrund seines sich weiter verschlechternden Gesundheitszustands beantragte im April 1889 der Gemeindevorstand die Pensi-onierung Ludwigs. Dieser sträubte sich, da er eine Familie zu ernähren hatte, und gab vor, ihm ginge es wieder besser, worauf ein Physikatsgutachten die weitere Berufstätigkeit des Lehrers aufgrund einer fortgeschrittenen Diabetes aber für ausgeschlossen hielt. Die Pensionierung erfolgte zum 1. Oktober 1889.(29) Vikar Kahn, der sich für die Nachfolge beworben hatte, und der in der Zwischenzeit auch weiterhin als Lehrer tätig war, wollte man – auch in Anbetracht seines finanziellen Hintergrundes – die Stelle nicht geben.(30) Am 6. terricht zu leiten, ohne dass seine Tätigkeit in Themar und Marisfeld leiden solle, da er als Vikar nur eine geringe Besoldung erhalte. Die Genehmigung dazu wurde ihm am 28. Mai erteilt.(31) Außerdem stritt Ludwig sich mit Kahn um Besoldungsteile und Schächtergebühren. Die Gemeinde Themar wurde aufgefordert, Lehrer Ludwig einen Zuschuss zu seiner Pension zu zahlen, was diese unter Hinweis auf ihre finanzielle Lage ablehnte. Die Gemeinde sei 1877 ohne Vermögen gegründet worden und habe 1400 Mark Schulden aufgenommen, weil sie ein halbes Wohnhaus zur Nutzung als Betsaal erworben habe. Nun tauge es nicht mehr für diesen Zweck und in der eigens begründeten Synagogenbaukasse seien erst 600 Mark eingegangen. Leopold Ludwig starb am 8. August 1891 unter Hinterlassung einer Witwe und fünf Kindern aus einer früheren Ehe, von denen zwei noch nicht erwachsen waren. Sohn Hermann wurde ebenfalls Lehrer, ging allerdings “ins Ausland”. Endlich wurde vom Staatsministerium die Lehrerstelle an Gustav Hofmann aus Walldorf übertragen, der am 9. Oktober 1889 feierlich in sein Amt eingeführt wurde. Neben der Tätigkeit als Lehrer gehörte auch der Vorsängerdienst in der Gemeinde Themar mit 98 Personen und Marisfeld mit 39 Personen (nach dem Ergebnis der Volkszählung vom 1. Dezember 1885) zu seinen Aufgaben. Seine jährliche Lehrer-Besoldung betrug 725 M, hinzu kamen 175 Mark für den Vorbeterdienst.(32) Er blieb bis 1896, dann bewarb er sich um die Lehrerstelle in Meiningen und wurde versetzt. Im Jahr 1890 beschloss die israelitische Gemeinde, da in absehbarer Zeit das Geld für einen Synagogenneubau nicht aufzubringen war, auch kein geeignetes Grundstück zur Verfügung stand, als provisorische Lösung den bestehenden Betsaal doch umzubauen. Mit der Mitbesitzerin, der Witwe Steitz, wurde ein entsprechender Vertrag geschlossen.(33) Im November 1893 ist der Ankauf der unteren Hälfte des Wohnhauses Nr. 205 nebst Garten offensichtlich erfolgt, nachdem Parnas Mayer Müller das Kaufangebot geprüft hatte. Dies geht aus dem Finanzbericht der Gemeinde vom 15. November des Jahres hervor. Grundlage war ein der Gemeindeversammlung am 21. Oktober 1893 ein von Maurermeister Gottlieb Giessler aus Grimmelshausen vorgelegter Kostenvoranschlag, nach dem das untere Stockwerk zur Lehrerwohnung umzubauen war. Die Gemeinde genehmigte eine Kaufsumme von 3000 Mark, letztendlich wurden 3100 Mark auf den Tisch gelegt, um Haus und Grundstück zu erwerben, nachdem auch Landbaumeister Schubert ein entsprechendes Gutachten abgegeben hatte. Zusätzlich zum Kaufpreis wurden noch 1800 Mark für den Umbau benötigt, die ebenfalls nur über ein Darlehen aufzubringen waren.(34) 1891 musste der Rechnungsführer Nathan Wertheimer wegen seiner zerrütteten Vermögensverhältnisse abdanken und wurde durch Jacoby Seckel ersetzt.(35) Dem Protokoll über die Gemeindeversammlung am 30. November 1895 zur Wahl eines neuen Vorstands ist auch die Wählerliste beigegeben. Es waren demnach anwesend: Jonas Frankenberg, Aron Baer, Noa Grünbaum, Mayer Müller, Löser Grünbaum, Simon Sachs I, Louis Wertheimer, Nathan Frankenberg, Lehrer Gustav Hofmann, Joseph Kahn, Adolf Katz, Abraham Schwab, Jacoby Seckel, Simon Sachs II, Jonas Mühlfelder, Selig Baer, Julius Gassenheimer, Samuel Baer, Louis Frankenberg, Albert Baer, Hugo Grünbaum, Samuel Frank, Max Baer und Ernst Gassenheimer.(36)
berufen, nachdem das Staatsministerium zuvor vergebens versucht hatte, die israelitischen Gemeinden Hildburghausen, Themar und Marisfeld davon zu überzeugen, einen gemeinsamen Lehrer, Jacob Mühlfelder aus Gleicherwiesen, anzustellen.37 Von zwei Bewerbern wurde Jacob Emanuel aus Nentershausen, derzeit in Eisenach, ausgewählt. Er nahm seinen Dienst am 1. Juli 1897 auf38, blieb aber nur kurz in Themar, bereits Ende 1899 wechselte er nach Herne.39 Auch jetzt bewarben sich zwei Personen um die Stelle: Jacob Simon aus Londorf in Hessen und Dr. Werthan in Bibra, die Gemeinde entschied sich für ersteren.40 Doch auch dieser blieb nur kurz in Themar. Am 26. August 1900 musste auf der Gemeindeversammlung mitgeteilt werden, dass Jakob Simon zum Militär eingezogen wurde und um Entlassung bat. Die Entscheidung fiel nun auf Hugo Friedmann, bis dato in Sinzig tätig. Der ebenfalls als Bewerber aufgetretene Lehrer Holländer in Berkach wurde nicht in Erwägung gezogen, weil er nicht schächten konnte.41 Im Dezember 1901 ersuchte Lehrer Hugo Friedmann um Genehmigung zur Heirat mit Eva Kahn aus Medernach in Luxemburg. 42 Aus dem Protokoll der Gemeindeversammlung vom 25. Februar 1899 geht hervor, dass die Gemeinde einen nicht unerheblichen Kredit bei Lehrer Gustav Hofmann, nunmehr in Meiningen, zu tilgen hatte. Es handelte sich um die Summe von 1700 Mark.43 Möglicherweise hatte Hofmann der Gemeinde das Geld zum Ausbau seiner Wohnung geliehen. Mit Gesuch vom 10. Dezember 1904 ersuchte Kaufmann Josef Goldschmidt um Feststellung der Wahlberechtigung für seine Person. Er sei 31 Jahre alt, seit 1899 als Reisender tätig und würde zur israelitischen Kultusgemeinde mit einem Einkommen von 2200 M zur Steuer herangezogen. Prinzipal des Gesuchstellers sei Selig Baer. Parnas Müller ver-trat die Ansicht, mit öffentlicher Auslegung des Wählerverzeichnisses sei seinen Pflichten Genüge getan. Im Jahre 1905 teilte die Gemeinde Marisfeld mit, dass derzeit nur noch zwei schulpflichtige Kinder in Marisfeld seien, es kämen zwar nach Ostern noch einige dazu, man wolle aber weniger Geld für den Lehrer zahlen. Die schlechte Bezahlung veranlasste Friedmann dazu, um Anstellung an der Bürgerschule nachzusuchen. Da er aber die gesetzliche Anwartschaft darauf (Ausbildung im Herzogtum) nicht erworben hatte, wurde dies abgelehnt. 1909 ging er nach Bernkastel. Der neue Bewerber Moritz Levinstein aus Sontra wollte nur nach Themar kommen, wenn er an der Bürgerschule eine Stelle bekommen würde. Dieses Ansinnen wurde zunächst vom Bürgermeister abgelehnt.44 Der am 17.11.1884 in Sontra als Kind eines Kaufmanns geborene “Oberlehrer a.D.” ist ausweislich seines Erbscheins am 6. Dezember 1938 verstorben. Der hier genannte Titel lässt darauf schließen, dass er wohl doch an der Bürgerschule tätig gewesen ist.
Im Jahre 1905 wurden folgende Personen zur Zahlung von Gemeindeumlagen heran-gezogen: Max Baer, Selig Baer, die Geschwister Baer, Louis Baer, Emil Baer, Max Eppenhei-mer (nur vom 11.06.-30.06.), Nathan Frankenberg, Louis Frankenberg, Sara und Meta Frankenberg, Hugo Grünbaum, Karl Grünbaum, Ernst Gassenheimer, Leo Häusler, Julius Haas, Jos. Kahn, Adolf Katz, Meier Müller, Max Müller, Leopold Müller, Karl Müller, Jonas Mühlfelder, Sara Muskatblatt (19.06.-30.09.), Max Jul. Stern, Simon Sachs, Moritz Sachs, Arthur Simon (01.01.-30.06.), Abraham Schwab, Alfred Walther, Louis Walther und die Witwe Emma Wertheimer.45 Im Jahre 1913 umfasst die Liste der umlagepflichtigen Gemeindemitglieder: Max Baer, Selig Baer, Geschwister Baer, Louis Baers Witwe, Emil Baers Witwe, Nathan Frankenberg, Louis Frankenberg, Sara Frankenberg, Ernst Gassenheimer, Hugo Grünbaum, Karl Grünbaum, Heinrich Grünbaum, Theodor Grünspecht, Leo Häusler, Josef Kahn, Nathan Krakauer, Joachim Liebes, Max Müller, Leopold Müller, Karl Müller, Markus Rosen-berg, Moritz Sachs, Hermann Stern, Abraham Schwab, Alfred Walther, Louis Walther, Leonhard Kahn und Max Bachmann. Abschließend folgen die Angaben für 1920: Louis Baers Witwe, Louis Frankenberg, Nathan Frankenberg, Sara Frankenberg, Ernst Gassenheimer, Herbert Gassenheimer, Hugo Grünbaum, Leo Häusler, Josef Kahn, Julius Kahn, Nathan Krakauer, Meier Mayer, Max Müller, Leopold Müller, Karl Müller, Moritz Sachs, Abraham Schwab, Hermann Stern, Alfred Walther, Louis Walther und Nathan Wertheimer. Mit dieser Aufstellung enden leider die ausführlicheren Informationen über die israelitische Kultusgemeinde Themar, da der Staat keine Aufsicht mehr über die inneren Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften führte. Wir sind nunmehr auf spärlicher fließende Quellen angewiesen. So erfahren wir, dass am 9. Februar 1922 vor dem Amtsgericht Themar der Lehrer Moritz Levinstein, Frl. Mira Grünbaum, der Viehhändler Lothar Frankenberg aus Themar als vertretungsberechtigte Vorstandsmitglieder des Jüdischen Jugendbundes Themar erschienen und die Erklärung abgaben, dass sich in Themar ein Verein unter dem Namen Jüdischer Jugendbund Themar gebildet habe, dessen Zweck nicht auf einen Geschäftsbetrieb ausgerichtet sei. In den Vorstand seien in der Gründungsversammlung am 19. November 1921 gewählt:
1. Lehrer Moritz Levinstein
2. Frl. Mira Grünbaum als Schriftführer
3. Viehhändler Lothar Frankenberg als Kassierer
Vertretungsberechtigt nach § 11 der Satzung sollten diese drei Personen zusammen sein. Sitz des Vereins war Themar. Beigegeben war das Protokoll der Gründungsversammlung, auf dem ein Vortrag von Fritz Häusler gehalten worden war. Der vorgesehene Vortrag von Herbert Gassenheimer musste wegen Erkrankung ausfallen. Die Vereinsmitglieder wählten eine Kommission für die Ausarbeitung der Statuten, der Erna Kahn, Paula Frankenberg, Herbert Gassenheimer und Albert Gassenheimer angehörten. An diesem Abend meldeten sich 48 Mitglieder an, jede Person ab 12 Jahre sollte Mitglied werden können. Der Verein war dem Verband des jüdischen Jugendvereins Deutschland angeschlossen und verfolgte den Zweck, “bei unbedingter Wahrung der Neutralität in politischen u. religiösen Fragen die Pflege bewußten Judentums u. wahrer Vaterlandsliebe” zu erstreben. “Er will auf die sittliche und geistige Fortbildung seiner Mitglieder bestimmenden Einfluß gewinnen durch Erschließung der jüdischen u. deutschen Kulturschätze. Auch will er sei-ne Mitglieder durch Pflege des Wanderns körperlich fortbilden u. stärken.” Dies sollte urch regelmäßige Zusammenkünfte, eine Bibliothek, Vorträge und Diskussionen über Themen der jüdischen Vergangenheit und Gegenwart und allen sonstigen Gebieten des öffentlichen Lebens, Wissens, Kunst und durch gesellige Veranstaltungen erreicht werden. Die Mitgliedschaft stand jedem ehrenhaften Juden/Jüdin vom 12. Lebensjahr ab offen, Mitglieder zwischen 12-14 Jahren sollten aber nicht stimmberechtigt sein. Über die weitere Tätigkeit des Vereins erfahren wir aus der Registerakte des Vereinsregisters leider nichts. Da der Verband des jüdischen Jugendvereins Deutschland durch Verfügung des Ministeriums des Innern vom 5.3.1933 verboten worden war, wurde das Kreisamt Hildburghausen zu einer weiteren Entschließung aufgefordert. Die Gestapo Weimar forderte von Lehrer Levinstein und vom Bürgermeister in Themar die Löschung. Lehrer Moritz Levinstein blieb nichts anderes übrig, als die erforderlichen Schritte einzuleiten. Auf den beiden letzten Mitgliederversammlungen wurden laut Protokoll vom 22. Februar und 8. April 1936, auf denen 21 bzw. 22 Mitglieder erschienen waren, die notwendigen Beschlüsse gefasst. Anwesend waren: Moritz Levinstein, Marta Müller, Paula Frankenberg, Clara Müller, Nanett Levinstein, Paula Müller, Hilde Sander, Hilde Sachs, Lotte Rosenbaum, Albert Gassenheimer, Ernst Gassenheimer, Hugo Grünbaum, Paul Rosengarten, Norbert Grünbaum, Arthur Plaut, Adolf Kahn, Herbert Müller, Flora Wolf, Lothar Frankenberger, Max Müller I und II, Louis Sander, Else Neuhaus, Arthur Neuhaus, Fritz Katz, Robert Sachs.46 Da über die Geschichte und das weitere Schicksal der in Themar ansässig gewesenen Familien auf der Homepage https://judeninthemar.org/47 ausführlich berichtet wird, kann an dieser Stelle darauf weitgehend verzichtet werden. Die Angaben können in unterschiedlicher Dichte anhand der im Landesarchiv Thüringen – Staatsarchiv Meiningen vorliegenden Akten spezifiziert werden. Infrage kommen hier die Akten des Amtsgerichts Themar, die insbesondere zu Firmen oder Nachlass- und Erbschaftsvorgängen vorliegen, und die des Finanzamts Hildburghausen aus den 30er und 40er Jahren des vorigen Jahrhunderts, die die Ausplünderung der jüdischen Einwohner durch die Nationalsozialisten belegen, bevor und nachdem ihnen die Flucht ins Ausland gelang oder sie ermordet wurden. Nur eine Familie soll hier beispielhaft weiter in die Vergangenheit zurückverfolgt werden – die Familie Hofmann in Marisfeld/Themar, deren Spur bis zu Moses Löw/Löb in Marisfeld zurück reicht. Am 15. März 1781 wurde Moses Löb der Schutzbrief von den Marschallischen Gerichten zu Marisfeld, konkret von dem Gerichtsbeamten Johann Peter Gottfried Dressel, ausgestellt: “Moses Löb, von hier gebürtig” hat an Schutzgeld jährlich 6 Rthlr. jeweils zur Hälfte Petri und Bartolomaei zu zahlen und war verheiratet mit Margem, geb. Simson48. Beim Übergang der Landesherrschaft an Sachsen-Coburg-Saalfeld war Löw Parnas und wurde als Ansprechpartner für alle mit der jüdischen Gemeinde zu regelnden Fragen herangezogen, so am 26. Sept. 1814 wegen eines Gesuchs um ein Handelspatent49. Bereits 1811 war er im Besitz eines Hauses50 – eine Ausnahme in jener Zeit. Natürlich gehörte er zu den vermögenderen jüdischen Einwohnern Marisfelds. Er hinterließ, als er am 13.10.1815 starb, seine Witwe Margem (Mariam), Tochter Beele, Götz Daniels Ehefrau in Schleusingen, Tochter Veile, Juda Seeligmanns Ehefrau in Höchheim und die unmündigen Söhne Liebmann (19), Samuel (16) und Meier Moses (13). Testamentarisch hat er seine Kinder zu Universalerben eingesetzt, die Ehefrau hatte aber bis zur Wiederverheiratung oder bis zum Tode das Nießbrauchsrecht. Seine Töchter waren bei ihrer Verehelichung bereits schon mit einer umfangreichen Mitgift ausgestattet worden, deshalb waren sie mit 500 fl. fr. abzufinden. Der älteste Sohn Liebmann erhielt das Wohnhaus mit Zubehör im Wert von 400 fl. fr., der übrige Nachlass war auf die Söhne in drei Teile aufzuteilen, für den ältesten abzüglich des Wertes des Hauses. Die älteste Tochter focht das Testament ohne Erfolg an. Bär Samuel in Marisfeld wurde zum Vormund der Söhne bestimmt. Das Nachlassverzeichnis weist einen umfangreicher Geldverleih nach sowie einen Warenbestand an Textilien. Der Nachlass wurde zusammen auf 13.650 fl. rh. u. 20 kr. geschätzt.51 Am 11. November 1819 informierte die Regierung in Coburg das Amt Themar u.a. über die ablaufende Handelskonzession des mittlerweile verstorbenen Moses Löw.52 Bei dieser Gelegenheit berichtete der Marisfelder Schultheiß Werner über den Umstand, dass der Erwerb von Grundeigentum den Juden nicht so freigegeben sei wie den übrigen Einwohnern. Eigentliche Grundstücke besitze keiner, aber einige Häuser, nämlich die Nachkommen von Moses Löw besäßen Häuser, alle übrigen wohnten zur Miete.53 Werner meinte auch, dass Witwen keinen Handel treiben dürften, wenn sie kein Schutzgeld bezahlen, die Witwe des Moses Löw aber lasse den Handel durch ihren Sohn fortführen und bezahle kein Schutzgeld. Ihr Sohn Lippmann habe zwar den Schutz erlangt, er sei aber verheiratet und es sei nicht dahinter zu kommen, ob er eigenen Handel treibe oder ob die Söhne miteinander in ihrer Mutter Namen handelten. Lippmann zahle Schutzgeld und handele, ohne eine Konzession zu haben, die Mutter habe eine Konzession und handele bzw. lasse ihre Söhne handeln ohne eigentlichen Schutz zu haben und ohne Schutzgeld zu bezahlen.54 Am 3. Februar 1819 hatte Lippmann Moses, ältester Sohn des verstorbenen vorigen Parnas Moses Löb, 23 Jahre alt, einen Antrag auf Niederlassung als Schutzjude in Marisfeld gestellt. Er konnte einen 1815 ausgestellten Militärfreischein vorweisen, besaß ein Vermögen in Höhe von 1000 fl. rhein. und wollte sich mit Böschen (Päsgen), Scheyer Meyers Tochter aus Schwarza, verheiraten. Er gab an, dass seine 20jährige Braut 2200 fl. rhein. besitze. Die gewünschte Genehmigung wurde am 22. März 1819 ausgestellt.55 Sein Bruder Samuel Moses stellte ebenso einen Antrag am 2. Juli 1822. Er gab an, einen eigenen Handel anfangen zu wollen, bat um Schutz und Handelskonzession und konnte gleichfalls einen Militärfreischein vorweisen. Er war 22 Jahre alt (geboren im März 1799 in Marisfeld), verlobt mit Blümchen (Bliemchen) Lippmann von Schwarza, Tochter des dortigen, bereits verstorbenen Schutzjuden Lippmann Simson und dessen Witwe Vora Lippmann. Sein eigenes Vermögen bezifferte er mit 1900 fl. rhein., die Mitgift seiner Braut mit 1000 fl. rhein. Er beabsichtigte, Handel mit Schnittwaren und Vieh zu betreiben, den er bisher für seine Mutter geführt habe. Nun wollte er ein eigenes Wohnhaus erwerben und bat um Genehmigung zur Aufnahme in Marisfeld, Verheiratung und Handelskonzession. Die erbetene Genehmigung datierte vom 13.8.1822.56 Der jüngste der drei Brüder, Maier Moses, erbat am 27.6.1826, 24jährig, eine entsprechende Genehmigung. Auch er habe bisher in Mutters Namen Viehhandel getrieben und wolle dies nun auf eigene Rechnung tun. Er beabsichtigte, sich mit Karolina Friedmann aus Memmelsdorf, ältester Tochter des Löw Friedmann, zu verheiraten. Von seiner Mutter würde er 1000 fl. rhein. erhalten, die Braut sollte 1600 fl. rhein. in die Ehe mitbringen. Außerdem konnte er eine Bürgschaft seines Bruders Lippmann Moses sowie eine Kaution von Magdalena Andreas in Oberstadt vorweisen.57 Im Juni 1827 wurde für die neue Landesherrschaft in Meiningen ein Verzeichnis über die Verhältnisse der jüdischen Einwohner von Marisfeld erstellt, in dem zu Lippmann Moses folgende Angaben enthalten sind: Er war 31 Jahre alt, verheiratet mit Betti, 30 Jah-re, und hatte seine Mutter Margem (66 Jahre) in Alimentation. Er betrieb Schnitt- und Viehhandel, besaß ein Wohnhaus und hatte drei Söhne: Moses (6 Jahre), Scheier (4 Jahre) und Simson (3 Jahre) sowie die einjährige Tochter Carline. Der Haushalt wurde unterstützt von der Dienstmagd Hanna aus Bauerbach. Bruder Samuel Moses (29 Jahre), verheiratet mit Bluna (23) betrieb ebenfalls Schnittwaren- und Viehhandel, besaß ein Wohnhaus und hatte zwei Söhne (Moses 3 Jahre und Lippmann ¾ Jahre alt). Die Ehefrau wurde von der Magd Ester aus Walldorf unterstützt. Mayer Moses, 27, und Carolina, 20, waren “Mietlinge”, hatten noch keine Kinder, aber ebenfalls eine Magd, Jedda aus Bauerbach. 58 1828 erwarben die beiden älteren Brüder neue Handelskonzessionen.59
1835 stellte der Lehrer Schimmel eine Schultabelle auf, um über die Leistungen, aber auch über die Versäumnisse Bericht zu erstatten. Insbesondere letzteres hielt er teils für bedenklich.60 In dieser Tabelle werden folgende Kinder von Lippmann Moses, nunmehr nur noch als Viehhändler bezeichnet, aufgeführt:
– Moses, 13 ½ (bei ihm schlagen 37 unentschuldigte Versäumnistage zu Buche, was darauf schließen lässt, dass er dem Vater zur Hand gehen musste), Isaias, 12, Simson, 11, Karoline, 9 ½, Therese 7 und Meier 5 ½ Jahre alt.
– Bruder Samuel Moses erscheint mit den Kindern Moses 11 ½, Lippmann 9, und Simson, 7 Jahre.
– Meier Moses hat noch keine schulpflichtigen Kinder.
Im Dezember 1839 nahmen die drei Brüder Liebmann/Lippmann, Samuel und Meier Moses den Familiennamen Hofmann an.61 In der Folgezeit erscheint der ehemalige Name Moses manchmal noch als “Mittelname”, oft wird er aber auch ausgelassen. Der spätere Lehrer Ludwig in Marisfeld/Themar legte während seiner Amtszeit neben den vorgeschriebenen Personenstandsregistern auch Familienregister für Marisfeld bzw. Themar an. In diesen ist Lippmann (Moses) Hofmann nicht mehr enthalten, wahrscheinlich kannte Ludwig, der seinen Dienst in Marisfeld 1866 aufnahm, ihn gar nicht mehr. Zu Samuel (Moses) Hofmann findet sich die Eintragung: Viehhändler, geboren Marisfeld 5. April 180062, verheiratet mit Blümchen geb. Lippmann aus Schwarza, geboren April 1806
2. Lippmann, geboren 29. Oktober 1826, verheiratet am 21. November 1856 mit Ricke, geb. Sachs aus Berkach
3. Simson, geboren 20. Juli 1828, gestorben 4. September 1836
4. Mayer, geboren 29. Mai 1831 (nach Amerika ausgewandert)
5. Marianne, geboren 5. August 1837, verheiratet 5. November 1872 mit Unterhändler Isaak Oberbaumer aus … dort wohnhaft.
Auch Meier (Moses) Hofmann erscheint in Ludwigs Familienregistern nicht. Samuels Sohn Lippmann führte das Gewerbe des Vaters als Viehhändler weiter. Nachdem er lange Jahre seinem Vater als Gehilfe zur Hand gegangen war, hatte er einige Zeit einen preußischen Gewerbeschein. Am 26.1.1856 beantragte er die Genehmigung zur eigenen häuslichen Niederlassung.63 Auch 1857 lebte er noch mit dem Vater zusammen in Marisfeld.64 Das weitere Schicksal dieser Familie kann man auf der obengenannten Homepage zur jüdischen Geschichte Themars verfolgen. Lediglich ein Sohn des Lippmann (Moses) Hofmann erscheint in den Ludwig’schen Familienregistern: Scheyer Hofmann, Handelsmann, geboren in Marisfeld 11. Mai 1823, gestorben 1. August 1880, verheiratet mit Hannchen, geborene Popper aus Walldorf, geboren 2. Oktober 1825
1. Sydonia, geboren 25. März 1860, gestorben 11. Juni 1862
2. Lippmann, geboren 27. September 1862, gestorben 25. Mai 1879 Meiningen, wo er die Realschule besuchte.
Er hatte am 10.7.1861 eine Konzession für den Aufkauf von rohen Häuten, Rauchwaren, Federn, Garn, Zinn Messing, Kupfer und Eisen und Verkauf dieser Gegenstände im Großen unter Ausschluss des Hausierens für die Verwaltungsamtsbezirke Römhild und Meiningen auf ein Jahr erhalten, eine ähnliche Konzession wurde ihm 1870 wieder erteilt.65 Doch was wurde aus der zahlreichen weiteren Nachkommenschaft des reichen Parnas Moses Löw? Neben dem bereits genannten Moses wandert auch Therese, Tochter des Lippmann (Moses) Hofmann, 1845 nach Amerika aus66. Nicht in die Familie einzuordnen ist der 30jährige Samuel Hofmann aus Marisfeld, der am 13.3.1856 im Verwaltungsamt Römhild eine Genehmigung für einen eigenen Viehhandel erbat, weil er sich verheiraten wollte.67 Auch alle ab den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts in Themar auftauchenden Personen mit dem Familiennamen Hofmann, die nicht als Nachkommen von Samuel und Blümchen Hofmann identifiziert werden konnten, sind keine Nachkommen des ehemaligen Parnas Moses Löw.
LATh-StAM Staatsministerium, Abt. Kirchen- u. Schulsachen Nr. 209 Bl 9. 3 LATh-StAM Staatsministerium, Abt. Kirchen- u. Schulsachen Nr. 209 Bl. 10.LATh-StAM Staatsministerium, Abt. Kirchen- u. Schulsachen Nr. 209 Bl. 8.
5 LATh-StAM Staatsministerium, Abt. Kirchen- u. Schulsachen Nr. 209 Bl. 11.
6 Bericht des Landrabbiners v. 15. Aug. 1870 in LATh-StAM Staatsministerium, Abt. Kirchen- u. Schulsachen Nr.