Die Familie Nussbaum aus Hersfeld/HE

Bertha Stern und Meier Nussbaum. Quelle: Willi Müller Familienarchiv

Die Familie Nussbaum aus Hersfeld in Hessen ist durch Clara Müller, geb. Nussbaum, Ehefrau von Max Müller II und Mutter von Herbert, Meinhold und Willi, mit der jüdischen Gemeinde von Themar verbunden. Wir konzentrieren uns hier mehr auf Claras Mutter, Bertha Stern, da Claras Vater 1919 starb, bevor die Familie Müller nach Themar zog.

Bertha Stern wurde 1850 in Beiseförth geboren, einem Dorf in Hessen mit etwa 730 Einwohnern, von denen etwa 10 % Juden waren. Sie war das zweite von fünf Kindern von Feist/Uri und Klara (geb. Katz) Stern. 1879 heiratete sie Meier Nussbaum, geb. 1838 in Erdmannrode, einem anderen hessischen Dorf. Meier und Bertha ließen sich in Hersfeld nieder, wo sie eine Familie mit sechs Kindern gründeten, von denen nur eines, ihr 5. Kind, weiblich war, Clara, geboren 1890.

Bertha erlebte einen großen persönlichen Verlust: als kleines Kind von 5 Jahren verlor sie ihre jüngere Schwester Jachet. Ihr älterer Bruder Samuel starb 1869, als Bertha 19 Jahre alt war, ihre Eltern kurz nach ihrer Heirat. David, ein jüngerer Bruder, starb 1885, und Schwester Hannchen starb 1911.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde die Familie, die sie gegründet hatte, vom Tod schwer getroffen: Im Ersten Weltkrieg kam 1916 ihr ältester Sohn Sally ums Leben, 1919 starb ihr Mann Meier nach 40 Jahren Ehe, und ein weiterer Sohn, Willi, starb vor 1920.

Zu Beginn der 1920er Jahre lebte die 70-jährige Bertha in Hersfeld, ihre drei verbliebenen Kinder lebten an anderen Orten: Leo lebte in Hannover, Clara in Themar und Felix in Rhina. Alle drei hatten geheiratet und gründeten Familien. Clara hatte Hersfeld im November 1912 verlassen, um Max Müller II aus Marisfeld/Thüringen zu heiraten. 1929 zogen Max und Clara mit ihren drei Söhnen – Herbert, Meinhold und Willi – in die Kleinstadt Themar und wurden schnell in die jüdische Gemeinde Themar integriert.

In all den Jahren blieben die Müllers in engem Kontakt mit der Familie Nussbaum. Zwei Schwiegertöchter von Bertha Nussbaum, geb. Stern, lebten weiterhin in Hersfeld und zogen ihre Familien groß: die Witwe von Sally Nussbaum, eine weitere Bertha (geborene Oppenheim), und ihre drei Söhne Siegfried, Max und Fritz. Auch die Witwe von Moritz Nussbaum, Else, und ihre drei Töchter – Sitta, Carola und Käthe – lebten in Hersfeld. Else stand den Müllers in Marisfeld/Themar besonders nahe, denn sie war die Schwester von Max Müller, und Max und Clara hatten sich auf ihrer Hochzeit kennen gelernt.

*****

Als am 30. Januar 1933 das Dritte Reich begann, lebten 28 Mitglieder der Familie von Bertha (geb. Stern) und Meier Nussbaum in Deutschland: die Söhne Sally, Moritz und Leo sowie die Tochter Clara. Die Familienmitglieder erkannten früh die Gefahren, die von der antisemitischen Agenda der Nazis ausgingen, und die jüngeren Mitglieder begannen zu emigrieren oder schmiedeten Pläne zur Ausreise. Zwischen 1933 und dem 9./10. November 1938 verließen vier Nussbaums Deutschland: Der erste war der 17-jährige Meinhold Müller, der 1936 mit einer jüdischen Jugendgruppe nach Italien reiste; am 20. Juli 1937 erhielt der 23-jährige Fritz Nussbaum sein Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten und segelte nur zwei Wochen später von Hamburg aus. Im Juni des folgenden Jahres erhielt Fritz‘ älterer Bruder, der 28-jährige Max Nussbaum, sein Visum für die Einreise in die Vereinigten Staaten und segelte am 29. Juni 1938 von Hamburg aus. Der letzte, der vor der Kristallnacht/Reichspogromnacht vom 9./10. November 1938 aus Deutschland floh, war der 16-jährige Willi Müller, der nach Palästina auswanderte. Leo Nussbaum in Hannover, der sich im Juni 1938 mit Freunden in Melbourne, Australien, in Verbindung gesetzt hatte, hatte bis November noch keine Visa erhalten.

Mit den Ereignissen der Kristallnacht/Reichspogromnacht änderten sich die Umstände dramatisch. Ende Oktober/Anfang November 1938 zog Bertha Nussbaum (geb. Stern) nach Themar, um mit ihrer Tochter Clara und Max zusammenzuleben. Sie erlebte mit Clara die Ereignisse der Kristallnacht/Reichspogromnacht, als Claras Mann Max und ihr Sohn Herbert verhaftet und nach Buchenwald verschleppt wurden.

Die Suche nach einem Zufluchtsort in anderen Ländern beschleunigte sich: Clara und Max Müller setzten sich sofort mit Verwandten in den USA in Verbindung, um ihnen bei der Beschaffung von Visa für die Einreise in die Vereinigten Staaten zu helfen. Die Verwandten, Mitglieder der Familie Schwed, unterstützten auch die Schwester von Max, Else Nussbaum (geb. Müller). Im März 1939, als klar war, dass Berthas Kinder – Schwiegertochter Else, Sohn Leo und Tochter Clara – Deutschland so bald wie möglich verlassen wollten, zog Bertha in ein Altersheim in der Ellernstraße 16 in Hannover.

In den drei Jahren nach der Kristallnacht konnten vierzehn (14) Mitglieder der Familie von Bertha (geb. Stern) Nussbaum Deutschland verlassen. Nur einer, der 14-jährige Manfred Nussbaum, reiste nach England ein, wahrscheinlich eines der Kindertransport-Kinder. Vier wanderten nach Australien aus: Leo Nussbaum, seine Frau Mally und ihre beiden Töchter Marga und Jutta; einer, Leos und Mallys Sohn Herbert Nussbaum, wanderte nach Südafrika aus. Am 2. März 1939 verließ Siegfried Nussbaum, der sein amerikanisches Visum vor seiner Frau erhielt, allein Deutschland und segelte von Hamburg nach New York City, wo er am 14. März 1939 ankam.

Der Ausbruch des Zweiten Weltkriegs brachte die Auswanderung aus Deutschland nicht zum Erliegen, sondern machte sie nur noch dringlicher. Am 11. September 1939 erhielt Siegfried Nussbaums Frau Ida ihr Visum, aber erst Ende Oktober reiste sie zu ihrem Mann. Im November 1939 segelten Sitta Amram, ihr Mann Meinhardt und Sohn Manfred von Antwerpen, Belgien, nach New York City. Sittas Mutter Else erhielt ihr Visum erst Mitte 1941; am 02. August 1941 segelte Else Nussbaum (geb. Müller) von Lissabon nach New York City. Herbert Müller und seine Frau Flora segelten ebenfalls von Lissabon nach New York City und kamen am 09. Juli 1941 in New York City an.

Herbert und Flora Müller und Else Nussbaum (geb. Müller) waren die letzten Mitglieder der Familie von Bertha Nussbaum (geb. Stern), die aus Deutschland flohen. Im Herbst 1941 saßen zehn (10) Mitglieder von Berthas Familie – einschließlich Bertha selbst – in Europa fest. Es ist nicht bekannt, wann Bertha starb, aber die Beweise (oder deren Fehlen) deuten darauf hin, dass sie in Hannover starb, bevor im Oktober 1941 die Deportationen der deutschen Juden in den „Osten“ begannen.

Neun (9) Nussbaums wurden deportiert und ermordet: die Schwiegertöchter Bella Nussbaum (geb. Katz) und Berta Nussbaum (geb. Oppenheim), die Tochter Clara (geb. Nussbaum) und der Schwiegersohn Max Müller, die Enkelinnen mit ihren Ehemännern und eine Urenkelin, Carola (geb. Nussbaum) und Jacob Stern, sowie Käthe (geb. Nussbaum) Wurms, ihr Ehemann Isaac und die zweijährige Tochter Aaltje.

*****

Von November 1938 bis Mai 1942, als Clara und Max von Themar ins Ghetto Belzyce im besetzten Polen deportiert wurden, schickten sie regelmäßig Briefe an ihre Söhne – Meinhold in Schweden und Willi in Palästina. Die Briefe enthalten wichtige Details über das Leben der anderen Mitglieder der Familie Nussbaum. Die Briefe können hier eingesehen werden.

Unten finden Sie die Nachkommenliste von Bertha (geb. Stern) und Meier Nussbaum. Die Profile der einzelnen Personen mit Angabe der Quellen befinden sich in der Datenbank geni.com; dort findet man auch den familiären Kontext der Personen, die in die Familie Nussbaum eingeheiratet haben.

Wir freuen uns über alle Korrekturen, Ergänzungen, Fragen und/oder Kommentare. Bitte kontaktieren Sie Sharon Meen unter [email protected]

  • Bertha Berle STERN, geb. 19 Dez 1850 Beiseförth1Beiseförth ist jetzt Malsfeld/HE, Okt/Nov 1938 nach Themar/TH, Mär 1939 nach Hannover, gest. vor 15.10.1941 Hannover/LS
  • ∞ (10 Dez 1879 Beiseförth) Meier Moritz NUSSBAUM, geb. 10 Aug 1838 Erdmannrode/HE, gest. 15 Jul 1919 (Bad) Hersfeld/HE
    • 1. Sally NUSSBAUM, geb. 20 Okt 1879 (Bad) Hersfeld/HE, gest. 16 Mai 1916 WWI/Frankreich
    • ∞ (02 Okt 1907) Berta OPPENHEIM, geb. 27 Feb 1885 Erdmannrode/HE, 1939 von Hersfeld nach Frankfurt a/Main, 1942 von Frankfurt nach unbekanntem Ort deportiert, ermordet. Frankfurt an einen unbekannten Ort, ermordet 1942 Distrikt Lublin/besetztes Polen
      • 2. Siegfried (später Sidney) NUSSBAUM, geb. 28 Aug 1908 (Bad) Hersfeld/HE, März 1939 von Hamburg nach NY/USA, gest. 15 Nov 1985 Broward/FL
      • ∞ Ida LIEBSTER, geb. 02. Mai 1908 Reichenbach/Sachsen, Okt 1939 von Antwerpen nach NY/USA, gest. 05. Dezember 1991 Broward/FL
      • 2. Max NUSSBAUM, geb. 13 Jun 1910 (Bad) Hersfeld/HE, 29 Jun 1938 fr Hamburg nach NY/USA, gest. 14 Apr 1982 Bronx/NY
      • ∞ (1946) Ilse Isabella STERN, geb. 18 Aug 1921 Oberbrechen/HE, 22 Feb 1939 von Hamburg nach NY/USA, gest. 20 Aug 1989 Bronx/NY
        • 3. Steven J. NUSSBAUM, geb. ca. 1948 Maryland
          ∞ (1983) Lillah GREIF, geb. Okt. 1947 New York

          • 4. Amy Sara NUSSBAUM, geb. 8. Mai 1991 Bexar/TX
      • 2. Fritz (später Fred) NUSSBAUM, geb. 25 Apr 1914 (Bad) Hersfeld/HE, 05 Aug 1937 von Hamburg nach NY/USA, gest. 18 Nov 1982 Pittsburgh/PA
      • ∞ (01 Jul 1946 Pennsylvania) Anne Etta SCHWARTZ, geb. 30 Apr 1923 Pittsburgh/PA, gest. 16 Dez 2014 Pittsburgh/PA
        • 3. Burton NUSSBAUM, geb. ca. 1949 Pennsylvania
        • ∞ (Aug 1970) Diane FREIBERG
    • 1. Moritz NUSSBAUM, geb. 20 Sep 1881 (Bad) Hersfeld/HE, gest. 1923 (Bad) Hersfeld/HE
    • ∞ (15 Okt 1909) Else MÜLLER, geb. 28 Okt 1886 Marisfeld/TH, Aug 1941 nach NY/USA, gest. 01 Okt 1980 Miami/FL
      • 2. Sitta NUSSBAUM, geb. 29 Jul 1910 (Bad) Hersfeld/HE, Nov 1939 von Antwerpen nach NY/USA, gest. 01 Jun 2003 Saint Paul/MN
      • ∞ Meinhardt (später Milton) AMRAM, geb. 22 Dez 1901 Osterrod am Harz/LS, Nov 1939 von Antwerpen nach NY/USA, gest. 23 Aug 1968 Red Bank/NJ
        • 3. Manfred (später Fred) AMRAM, geb. 19 Sep 1933 Hannover/LS, Nov 1939 von Antwerpen nach NY/USA
      • 2. Carola NUSSBAUM, geb. 05 Sep 1911 (Bad) Hersfeld/HE, deportiert 09 Dez 1941 fr. Kassel nach Riga Ghetto/01.10.1944 nach Stutthof KZ, ermordet 06.01.1945 Stutthof KZ/besetztes Polen
      • ∞ (10 Jun 1934) Jacob STERN, geb. 08 Dez 1891 Rodheim vor der Höhe/Hessen, deportiert 09 Dez 1941 fr. Kassel ins Ghetto Riga, ermordet nach Dez. 1941 Ghetto Riga/besetztes Lettland
      • 2. Käthe NUSSBAUM, geb. 22. Mai 1913 (Bad) Hersfeld/Hessen, deportiert von Amsterdam nach Auschwitz, ermordet. Amsterdam nach Auschwitz, ermordet 19. Februar 1943 Auschwitz/besetztes Polen
      • ∞ Isaak WURMS, geb. 05. Mai 1912 Amsterdam, deportiert von Amsterdam nach Auschwitz, ermordet Amsterdam nach Auschwitz, ermordet 30 Apr 1943 Auschwitz/besetztes Polen
        • 3. Aaltje WURMS, geb. 21 Aug 1939 Amsterdam, deportiert von. Amsterdam nach Auschwitz, gest. 19 Feb 1943 Auschwitz/besetztes Polen
    • 1. Levi Leo NUSSBAUM, geb. 01 Sep 1883 (Bad) Hersfeld/HE, Juli 1939 nach Australien, gest. 23 Apr 1958 Melbourne/AU
    • ∞ (30 Aug 1912) Mally MARX, geb. 29 Jun 1887 Felsberg/HE, Juli 1939 nach Australien, gest. 14 Mar 1967 Melbourne/AU
      • 2. Herbert NUSSBAUM, geb. 24 Sep 1913, [1938?] nach Südafrika, gest. 12 Dez 1997 Johannesburg/SA
      • ∞ (24 Jan 1940; div. um 1957) Paula ADLER, geb. 10 Aug 1921 Polen, gest. 31 Mai 2009 Südafrika
        • 3. Yvonne HEITNER
      • 2. Marga NUSSBAUM, geb. 1922 Hannover/LS, Jul 1939 nach Australien
      • ∞ Karlheinz MEYER
        • 3. Hazel MEYER
      • 2. Jutta NUSSBAUM, geb. 1931 Hannover/LS, Jul 1939 nach Australien
      • ∞ Issac RUBENSTEIN
        • 3. Esther GOLDSCHLAGER, geb. ca. 1955
        • 3. NN RUBINSTEIN, geb. ca. 1957
        • 3. NN RUBENSTEIN, geb. ca. 1959
    • 1. Willi NUSSBAUM, geb. 08 Jul 1885 (Bad) Hersfeld/HE, gest. vor 1920
    • ∞ (28 Apr 1919 Fritzlar) Selma LOEWENSTEIN, geb. 14 Mär 1889 Obermöllrich (jetzt Fritzlar)/Hessen, deportiert 18 Nov 1941 fr. Osterholz-Scharmbeck über Hamburg ins Ghetto Minsk, ermordet 1941 Ghetto Minsk
    • 1. David NUSSBAUM, geb. 27. Feb. 1887 (Bad) Hersfeld/HE, gest. 1916
    • 1. Clara/Klara NUSSBAUM, geb. 14. Nov. 1890 (Bad) Hersfeld/HE, deportiert 10. Mai 1942 von Weimar-Leipzig nach Ghetto Belzyce, ermordet nach dem 12. Mai 1942 Ghetto Belzyce, Distrikt Lublin/besetztes Polen
    • ∞ (Nov 1912 Hersfeld) Max MÜLLER, geb. 08 Feb 1884 Marisfeld/TH, 1929 nach Themar, deportiert am 10. Mai 1942 fr. Weimar-Leipzig nach Ghetto Belzyce, ermordet 20. Oktober 1942 Majdanek KZ, Distrikt Lublin/besetztes Polen
      • 2. Herbert MÜLLER, geb. 24 Nov 1913 Marisfeld/TH, Jun 1941 fr Lissabon nach USA, gest. 10 Okt 1994 Jamaica/NY
      • ∞ (10 Aug 1938 Themar) Flora WOLF, geb. 30 Dez 1909 Sulzburg/BV, Jun 1941 fr. Lissabon nach NY/USA, gest. 01 Okt 2000 NYC/NY
        • 3. Helen MÜLLER, geb. 28 Apr 1943 Queens/NY
      • 2. Meinhold MÜLLER, geb. 19 Nov 1919 Marisfeld/TH, 1936 nach Italien/1938 nach Schweden, gest. 27 Jun 1993 Göteborg, Schweden
      • ∞ Rebecka LIWERANT, geb. 17 Dez 1922 Hamburg, deportiert 1938 an die polnische Grenze/1939 Ghetto Litzmannstadt/überlebt, gest. 2015 Göteborg/Schweden
      • 2. Willi MÜLLER, geb. 29. Dez. 1922 Themar/TH, 1938 nach Palästina, gest. 1913 Israel
    • 1. Felix NUSSBAUM, geb. 01 Jul 1892 (Bad) Hersfeld/HE, gest. 16 Mai 1931 Rhina/HE
    • ∞ (23 Jan 1923 Rhina) Bella KATZ, geb. 07 Apr 1894 Rhina/HE, deportiert 1943 fr. Frankfurt a/Main nach unbekanntem Ziel, ermordet
      • 2. Manfred NUSSBAUM, geb. 25 Nov 1925 Rhina/HE, Jan 1947 nach NY/USA, d. 19. April 1996 New York