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Stolpersteine 27. November 2019

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Garry Meller (links) ist aus Melbourne in Australien nach Themar gekommen, um der Stolperstein-Verlegung beizuwohnen. Er ist Nachfahre der Familie Grünbaum. Foto: Joachim Hanf
Garry Meller, Nachfahre von Familie Grünbaum, 27 Nov 2019.

,,Ein Quadrat auf der Erde
— Ein Mensch.“

von Cornell Hoppe
inSüdthüringen.de

Jahr für Jahr erinnert die Themarer Stadtbevölkerung an ihre ehemaligen jüdischen Einwohner. 38 Stolpersteine sind zu ihrem Andenken schon in der Stadt verlegt. Am Mittwoch sind weitere 13 dazu gekommen.

Themar – „Ein Gang in den Fußspuren meiner Vorfahren“, so beschreibt Garry Meller am Mittwochmorgen seinen Besuch in Themar. Er ist ein Nachfahre der Familie Grünbaum, die einst in Themar gelebt hat. Auch, dass er sich hier sehr willkommen fühlt, sagt Meller. Und er ist sichtlich bewegt, dass für ihn bislang fremde Menschen ein Denkmal für seine Vorfahren errichten.

13 neue Steine

Es ist kalt und nieselt an diesem Mittwochmorgen. Trotzdem finden sich immer mehr Menschen ein, um an der Verlegung der Stolpersteine teilzunehmen. Die Klasse 9a der Themarer Regelschule „Anne Frank“ ist dabei. Renate Meyer-Merkl ist aus Köln gekommen. Sie ist eine Verwandte des jüdischen Lehrers Moritz Levinstein. Auch die Brüder Paul und Arne Müller sind wieder aus Dänemark angereist, sie sind Nachfahren der Familie Max Müller. Mitglieder des Vereins „Themar trifft Europa“ und auch einige andere Nachfahren der Themarer Juden sind wieder in die Stadt gekommen, um an der jährlichen Aktion teilzunehmen. Aus der Thüringer Staatskanzlei ist Staatssekretärin Babette Winter angereist, Vize-Landrat Dirk Lindner und Bürgermeister Hubert Böse begleiten die Verlegung der 13 Stolpersteine ebenfalls.

Start ist in der Bahnhofstraße 23 vor einem Bekleidungsgeschäft. Dort hat auch die Familie Grünbaum einst ein Textilgeschäft gehabt, erklärt Sabine Müller vom Verein „Themar trifft Europa“. Vor dem Haus werden insgesamt sechs Steine im Pflaster versenkt. Steine für Hugo Grünbaum und seine Frau Klara. Für die Tochter Else Neuhaus und ihren Mann Arthur sowie deren Tochter Inge. Und den Sohn Hans Grünbaum. Letzterer ist der einzige, der die Nazizeit überlebt. Schon 1934 ist er 17-jährig nach Palästina gegangen, das heutige Israel. Hugo Grünbaum ist zuerst nach Buchenwald, später nach Theresienstadt deportiert worden, wo er ermordet worden ist. Auch Klara wurde nach Theresienstadt deportiert. Sie wurde 1944 im KZ Auschwitz ermordet. Else und Arthur Neuhaus und ihre Tochter Inge wurden 1942 nach Belzyce deportiert und dort ermordet. Sie waren 41, 37 und fünf Jahre alt.

Garry Mellers Großvater Karl ist ebenfalls in Themar geboren, ging aber bereits im Jahr 1913 nach Erfurt. Er1 Der Sohn von Karl, Kurt, floh nach England. Karl wurde im Ghetto Theresienstadt ermordet   floh nach England und gelangte mit seiner Familie später nach Australien.

Garry Meller erklärt, dass er erst vor fünf Jahren begonnen habe, mehr über seine familiären Verbindungen zu erfahren. Auf der Suche nach irgendwelchen Informationen sei er auf der sehr informativen Webseite über die Themarer Juden und damit auch bei Sharon Meen gelandet. Auf diese Weise habe er den Stammbaum seiner Familie bis in die 1700er Jahre nachvollziehen können.

„Die Geschichte wird erinnert und die Familie ist nicht vergessen“, sagt Garry Meller. Er sehe auch, dass antisemitische Tendenzen immer noch da sind. „Indem wir an die Vergangenheit erinnern, können wir beitragen die Zukunft zu verändern“, so seine Hoffnung.

Ein Stückchen die Straße gegenüber wird ein einzelner Stolperstein gesetzt. Er erinnert an Meta Krakauer (geborene Frankenberg), die dort ebenfalls ein Textilgeschäft hatte. 1942 ist sie nach Theresienstadt verschleppt worden. Sie ist die einzige Themarer Jüdin gewesen, die ein KZ überlebt hat. Sie starb 1955, 88-jährig in Dinslaken. Themars Bürgermeister Hubert Böse zitiert an dieser Stelle Ludwig Mühlfelder mit der Mahnung, dass man den heutigen, jungen Menschen die Verantwortung für die Taten ihrer Vorfahren nicht anlasten könne, man aber erwarten dürfe, dass sie sich mit den Verbrechen ihres Volkes auseinander setzten. „Es war die industrielle Vernichtung von Menschen“, sagt Böse. „Wir müssen alle daran erinnern und alles dafür tun, dass so etwas nie wieder geschehen kann.

In der Leninstraße wird vor einem Haus gleich zweier Familien gedacht. Je drei Steine erinnern an Familie Frankenberg und an Familie Sander. Klara Frankenberg und ihre Kinder Paula und Lothar lebten dort. Klara wurde 1942 in Theresienstadt ermordet, sie wurde 79 Jahre alt. Paula Frankenberg kam zuerst ins KZ Ravensbrück und später nach Auschwitz, wo sie 1942 starb. Lothar Frankenberg wurde 1938 in „Schutzhaft“ genommen. Ihm gelang 1939 die Flucht über die USA2 Lothar ist über England nach Kanada angekommen nach Montreal. Auch Louis Sander flüchtete 1939, nachdem auch er zunächst in Schutzhaft genommen und nach Buchenwald gebracht wurde. Über Shanghai gelangte er in die USA. Auch seine Tochter Marion Sander konnte 1939 aus Deutschland fliehen und lebte in San Diego.

Norbert Sander kam im Alter von 17 Jahren in Schutzhaft nach Buchenwald. Ihm ist es nicht möglich gewesen zu fliehen. Norbert musste wegen des Euthanasieprogramms der Nazis sterben. Er ist in der Tötungsanstalt Hadamar ermordet worden.

„Auch heute wachsam sein!““

Staatssekretärin Babette Winter dankte dem Künstler Gunter Demnig, dass er mit seiner Idee das größte dezentrale Mahnmal geschaffen habe. Sie lobte auch das Engagement der Themarer, die an die Menschen erinnern wollen, die einst Bürger dieser Stadt gewesen seien. „Mit der Verewigung ihrer Namen sind sie ein Stück zurückgekehrt in die Stadt“, so Winter. Sie hatte nach einem Besuch in Themar im Sommer selbst zwei Steine gestiftet. Das Erinnern, sagt sie, sei das Eine. „Wir müssen aber auch heute wachsam sein, denn es ist die bittere Erkenntnis, dass Zustimmung zu antisemitischen Aussagen auch in Thüringen wieder steigt“, sagt sie und verweist auf den Thüringen-Monitor, der in den nächsten Tagen veröffentlicht wird.

Dirk Lindner schließt sich ihren Worten an und mahnt, dass man den Verharmlosern und Leugnern entschlossen entgegen treten solle.

Zum Abschluss wird ein Gedicht rezitiert. „Ich liege auf der Straße. Achtlos gehen die Menschen an mir vorbei. Dabei bin ich so wertvoll. // Ein Name ist eingraviert, Daten dazu. Ein Quadrat auf der Erde. – Ein Mensch. Dabei ist jedes Leben wertvoll.“

Auch:
,,13 Stolpersteine erinnern in Themar an jüdische Bewohner,“ MDR Thüringen, 27.11.2019
Ralf-Uwe Beck, ,,Stolpersteine in Themar,“ Evangelische Kirche in Mitteldeutschland.

Stolpersteine für Hugo, Klara u. Hans Grünbaum, und Else, Arthur, u. Inge Neuhaus, 27 Nov 2019. Foto: G. Meller 2019