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Die Familie Hugo u. Klara (geb. Schloß) Grünbaum

Auch:
Die Familie von Noah Grünbaum
Die Familie von Bertha (geb. Grünbaum) u. Jakoby Seckel
Die Familie von Minna (geb. Grünbaum) u. Samuel Rosenthal
Die Familie von Karl u. Hulda (geb. Schlesinger) Grünbaum
Nachkommenliste: Heinrich u. Ida (geb. Schmalbach) Schloss
Nachkommenliste: Noah Grünbaum

Hugo Grünbaum lebte ungefähr 70 Jahre—1871/2 bis 1942—in Themar. Seine Familie, als Kind von Noah Grünbaum, war eine der bedeutendsten Familien für die jüdische Gemeinde in Themar.

Hugo wurde in Walldorf/Werra im Jahr 1868 geboren, der Sohn von Noah und Minna (geb. Friedmann) Grünbaum. Er zog mit seinen Eltern zu Themar irgendwann vor 1872, da seine Schwester Minna in Themar im Jahr 1872 geboren wurde. Als sein Vater wieder heiratete, kriegte Hugo einen Stiefbruder, Karl, geboren Jahrgang 1876.

Zuerst wohnte Hugo mit seinen Eltern und Geschwistern in der Hintertorstraße 170 wo Noah gründete einen Kurzwarenladen. Später verlegte Noah sein Geschäft—und Familie—näher an den Bahnhof zu Bahnhofstraße 150.

Im 1897 heirateten Hugo Grünbaum und Klara Schloß; Klara war eine von elf Kindern von Heinrich (Hohna) u. Ida (geb. Schmalbach) Schloß aus Schwanfeld. Im jüdischen Matrikel Themar steht folgendes:

„Hugo Grünbaum Kaufmann Sohn des Kaufmann Noa Grünbaum u dessen verstorbene Ehefrau Minna geb Friedmann, 29 Jahre alt, und Klara geb Schloß Tochter des Kaufmann Heinrich Schloß u. dessen Ehefrau Ida geb Schmalbach zu Schwanfeld 24 Jahre alt.“

Quelle: Jüdische Gemeinde Themar, Matrikel 1820-1938

Sie wohnten in der Bernhardtstrasse wo zwei Kinder geboren wurden; die erste im Jahr 1901 wurde totgeboren, die zweite, Mira, wurde am 17. Mär 1903 geboren.

Am 29. Januar 1901 starb Hugos Vater Noah. Was genau mit dem Warenhaus N.H. Grünbaum Anfang des 20. Jahrhunderts passiert ist, muss noch geklärt werden. Im Normalfall hätte der älteste Sohn, in dem Fall Hugo, das Familiengeschäft erben müssen. Doch am 14 Oktober 1901 registrierte Hugo Grünbaum ein Schnittwarengeschäft unter eigenem Namen. Stiefbruder Karl, der zu dem Zeitpunkt 29 Jahre alt gewesen war, und seine Frau Hulda führten gemeinsam das Warenhaus N.H. Grünbaum weiter.

Quelle: Staatsarchiv Thüringen in Meiningen.

Vier Jahre später, als Hugos Cousine, Bertha (geb. Grünbaum) und ihr Ehemann, Jakoby Seckel, von Themar wegzogen, übernahm Hugo den Seckel Laden.

Am 1. Mai 1905 kündigte Hugo die „Geschäfts-Verlegung und -Eröffnung“ des Ladens unter seinem Namen und den Umzug vom Marktplatz in die Bahnhofstraße 143, fast direkt gegenüber dem Warenhaus N. H. Grünbaum.

Zeitung für Themar, 1 Mai 1905, Stadtarchiv Themar
Quelle: Zeitung für Themar, Juni 1905. Stadtarchiv Themar

Im Jahr 1912 verkaufte Karl Grünbaum sein Geschäft an Markus Rosenberg und zog ein Jahr später mit seiner Frau Hulda nach Erfurt. Damit war im Jahr 1914 nur eine Familie Grünbaum in Themar – Hugo und Klara Grünbaum mit ihren zwei Töchtern, Mira, Jahrgang 1903, und Else, Jahrgang 1905.

Quelle: Zeitung für Themar, 1916. Stadtarchiv Themar

Wie die meisten deutschen Juden waren Hugo und Klara vom Ausbruch des Krieges etwas begeistert. Als sie die Geburt ihres Sohnes Hans am 12. Februar 1916 bekannt gaben, wählten sie für die Anzeige sehr patriotische Worte.

1933-1942: Im Dritten Reich

Als die Nationalsozialisten im Januar 1933 die Macht übernahmen, reagierte Hugo und Klara Grünbaum wie die meisten deutsch-jüdischen Familien. Sie kümmerten sich zunächst um die Sicherheit ihrer Kinder und dann um ihre eigene Sicherheit. „Sicherheit“ bedeutete zu dem Zeitpunkt Deutschland zu verlassen und entweder in ein anderes Land in Europa zu fliehen, oder am besten, Europa ganz zu verlassen. Zwei Kinder von Hugo und Klara Grünbaum waren unter den ersten Juden, die Deutschland verliessen. Hans Grünbaum ging im Jahr 1934 nach Haifa, Palästina; am 24 Juli 1939 wurde er Bürger von Palästina.

Dr. Fritz Schorcht, Bürgermeister, Themar and der Polizeiverwaltung Themar, den 12. Dezember 1938. Quelle: Stadtarchiv Themar

Mira Grünbaum verließ Deutschland im Jahr 1936. Sie hat Arno Sommer (aus der Familie Gassenheimer in der Nachbarstadt Hildburghausen) geheiratet und bis 1936 in Hannover, wo ein Sohn geboren wurde, gewohnt. Mira, Arno, und ein-Jahr-alt Siegfried—und Schwiegermutter Hedwig Sommer, geb. Gassenheimer—gingen nach Italien.

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In Themar im Jahr 1936 wohnten Hugo und Klara, und Tochter Else mit ihrem Ehemann Arthur Neuhaus. Arthur, geboren in Werl am 17 August 1901, hatte Else im September 1935 geheiratet und nach Themar gezogen; er arbeitete im Geschäft seines Schwiegervaters „Hugo Grünbaum.“ Am 1. April 1937 wurde Ingeborg Neuhaus geboren.

RG/SM, S.1938, S.674

Das Leben für die Familien Grünbaum u. Neuhaus in Themar wurde immer schwieriger. Am 3. November 1938 Hugo musste sein Geschäft liquidieren. In der Nacht vom 9.-10. November war Hugo einer von den achtzehn (18) Männer die verhaftet und nach Buchenwald verschleppt wurden. Irgendwann vor dem 1. Dezember 1938 wurde er mit anderen Themarer Juden entlassen. Wo Arthur Neuhaus in diesen Tagen war, wissen wir noch nicht.

Am 20. März 1939 mussten die Familien Grünbaum und Neuhaus das Haus in der Bahnhofstraße verlassen; Clara Müller schrieb an ihren Sohn Willi in Palästina: „Die Synagoge hier soll verkauft werden u. der [Hugo] Grünbaum will oben hineinziehen weil er aus seinem Haus herausmuss.“ Else, Arthur und Inge Neuhaus zogen zum Haus in der S. A. Straße 20 (heute Leninstr.). Am 17 September 1939 musste Arthur Neuhaus zu Neuendorf ziehen wo er Zwangsarbeit mit Julius Rosenberg, Adolf Kahn, und Louis Sander mindestens sechs (6) Wochen leistete.

Quelle: Stadtarchiv Themar

Ab 5. März 1940, schrieb Clara Müller an Willi Müller in Palästina, ,,arbeiten Herbert, [Arthur] Neuhaus, [Louis] Sander und Julius Rosenberg am Straßenbau bei Siegritz [5 km südostlich von Themar], nachdem sie sich wochenlang um Arbeit bemüht hatten. Am 1. Tag gab es natürlich Schwielen a. d. Händen, aber Herbert kommt gut mit u. es gefällt ihm dabei.“ In einem Brief an Meinhold Müller in Schweden am 10 Juni 1940 schrieb Clara wieder etwas über die Grünbaums: „Maxens [Max Müller I, geb. 1873] bearbeiten mit Rosenbergs den halben Synagogengarten (die andere Hälfte hat Grünbaum u. Neuhaus). Da trifft sich täglich die halbe Kille, es sitzt sich da schön im Garten, wir gehen auch manchmal hin.“ Im Jahr 1941 wurde Arthur Neuhaus zum Zwangsarbeit in der Erfurter Holzbearbeitungsfirma. Und am 10 Oktober 1941 hat jemand dem Steuersekretär mitgeteilt dass er ,,den Juden Hugo Israel Grünbaum in der Fleischer von Ernst Kahl angetroffen habe und dass dieser den Judenstern nicht sichtbar trug.“ Es liegen keine weiteren Unterlagen im Stadtarchiv vor, aus denen hervorgeht, ob Hugo inhaftiert wurde.

Quelle: Stadtarchiv Themar

Mai 1942: Deportation ins Ghetto Belzyce — ,,Wie wir bereits schrieben,…“ .

Quelle: Ihre Stimme Leben Noch

Am 8. Mai 1942 schrieben Max II und Clara Müller an Meinhold:
,,Lieber Meinhold!
Wie wir bereits schrieben
verreisen wir morgen früh mit
Familie Neuhaus. Eine Adresse
können wir Dir nicht angeben,
so bald es uns möglich ist,
geben wir Dir unsere neue
Adresse an. Inzwischen schreibe an
Onkel Max. Da es sehr eilig
geht, schreibe ich heute kurz. Viele
Grüße Dein Papa.
Innige Küsse Mama“

Die Familien Max Müller II und Neuhaus „wurden schriftlich benachrichtigt. Sie wurden angewiesen, 50 RM, Gepäck bis zu 50 kg, Kleidung, passendes Schuhwerk, Bettwäsche, Besteck und Verpflegung für drei bis vier Tage mitzunehmen. Alles andere mussten sie als Reichseigentum zurücklassen.

Die Juden aus Thüringen, ungefähr 342 Männer, Frauen und Kinder, wurden am 8. oder 9. Mai 1942 in regulären Personenzügen aus mehreren Städten und Ortschaften nach Weimar transportiert. […] Dies geschah am helllichten Tag.

[…] In Weimar wurden die Juden aus Thüringen in der lokalen Gestapoleitstelle interniert, einer ehemaligen Reithalle des Marstalls, im Osten der Stadt. […]  Etwa 513 Männer, Frauen und Kinder wurden in den frühen Morgenstunden des 10. Mai 1942 von der Sammelstelle durch die Stadt, zu dem bereits wartenden Zug am Güterbahnhof, Ettersburger Straße, gebracht. Dort drängte man sie in Güterwaggons. Von Weimar fuhr der Zug nach Leipzig. Hier, am Güterbahnhof Engelsdorf, bestiegen etwa 369 weitere Juden den Zug,[…]

Die Deportierten aus Sachsen und Thüringen trafen am 12. Mai 1942 in Belzyce ein. Einen Tag vor ihrer Ankunft im Ghetto waren mehrere junge Männer aus Belzyce in das Lager Majdanek verschleppt worden, um Platz für die aus dem Reich eintreffenden Juden zu schaffen. […] Die Ghettobewohner von Belzyce mussten dicht gedrängt und unter furchtbaren hygienischen Bedingungen leben. Viele Menschen starben aufgrund von Hunger und Krankheiten. Mit Oktober 1942 beginnend, wurden die meisten der Ghettobewohner in den Vernichtungslagern der Umgebung ermordet.“

Else Neuhaus, geb. Grünbaum, ihre Ehemann Arthur Neuhaus und ihre fünf Jahre alte Tochter Inge, wurden deportiert und ermordet. Elses Cousins aus Apolda—Grete, Norbert, und Max Rosenthal und dessen Frau Ilse, geb. Benjamin—waren in selben Transport und wurden auch ermordet.

Quelle: Statistik und Deportation-Erfurt – Weimar – Leipzig – Chemnitz nach Bełżyce

September 1942: Deportation ins Ghetto Theresienstadt

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Am Beginn der jüdischen Neujahrstage (Rosh Ha-Schanah) erhielten Hugo und Klara die Nachricht vom Transport. „Gerüchte kursierten von einem Fahrtziel in Böhmen. Wie schon im Mai gab es detaillierte Anweisungen der Landräte und Bürgermeister zur Durchführung der Deportation an die örtlichen Polizei- und Gendarmerie-Beamten: am 19. September von Gleicherwiesen mussten zwei Juden, vermutlich zu Fuss, in Begleitung nach Hildburghausen gebracht werden, mit fünf weiteren aus der Kreisstadt führen sie im Zug nach Themar weiter, wo acht Themarer Juden und drei aus Marisfeld zustiegen. Zwei einheimische Polizisten eskortierten die insgesamt 18 Juden zur Gestapo nach Weimar; der Vorgang wurde als polizeiliche Routinearbeit in den Akten abgelegt.“

Am 19.September 1942 verliessen Hugo und Klara Grünbaum die Kleinstadt Themar für immer; sie gehörten zu den letzten jüdischen Menschen, die aus Themar deportiert wurden.

Ghetto Theresienstadt Index Card for Klara Grünbaumova; Arolesen Archiv

Am 20.September ging die Fahrt ab Weimar ins Ghetto Theresienstadt. Hugo und Klara wurden in einem Zug mit den anderen 357 Thüringenjuden gepfercht. In Leipzig wurden noch 520 Juden eingetroffen. Der Deportationszug kam in der Ortschaft Bauschowitz an, da das Ghetto Theresienstadt selbst bis Sommer 1943 keinen Bahnanschluss hatte. Die Häftlinge mussten die drei Kilometer zum Ghetto Theresienstadt zu Fuß und unter Bewachung zurücklegen.

Quelle: Todesfallanzeige, Hugo Grünbaum, holocaust.cz

In demselben Transport waren Hugos Geschwister Minna Rosenthal (geb. Grünbaum) aus Apolda und Karl Grünbaum und dessen Frau Hulda (geb. Schlesinger) aus Erfurt. Die drei Geschwister wurden alle in Ghetto Theresienstadt ermordet: Hugo war der erste zu sterben, einen Monat nach dem Ankunft. Karl starb am 29. März 1943, und Minna am 1. Juni 1943. Von der Familie von Klara Grünbaum (geb Schloß) wurden ihr Bruder Ludwig Schloß und dessen Ehefrau Lina Schloß (geb. Neuberger) und eine Schwägerin, Klara Schloß, geb. Sämens, Witwe von Simon Schloß auch im Ghetto Theresienstadt ermordet. Jacob Sommer, der Vater von Miras Ehemann Arno, und ein Onkel, Louis Gassenheimer, wurden auch im Ghetto Theresienstadt ermordet. (Hedwig Sommer, geb. Gassenheimer, Arnos Mutter und Louis‘ Schwester, wurde von Italien nach Auschwitz im Jahr 1943 deportiert und ermordet.)

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Am Endes des Krieges lebten Geschwister Hans und Mira Grünbaum. Hans war in Palästina und wir wissen nur dass er im Jahr 1980 in Israel starb.1 Garry Meller, email to Sharon Meen, 22.09.2014  .

Wir wissen etwas mehr über das Leben von Mira, Arno und Sigfried Sommer. Mira war mit Arno und Sigfried immer noch in Italien. Diese Akte, im Arolsen Archiv, erzählt uns etwas von ihren Jahren in Italien.

Quelle: Arolsen Archiv

Im Mai 1948 sind sie von Naples in die Vereinigten Staaten eingewandert.

Im Jahr 1956, und vielleicht früher, wohnten die Sommers in einer Wohnung in einer Wohnung in der Mottstrasse 5 in Worcester, Massachusetts. (Ein Verwandte von Arno, Arnold Sommer, hat früher in diesem Haus gewohnt.) Arno war wieder Polsterer und Sigfried, 24 Jahre alt, war Student an der Clark University in Worchester.

Quelle: Worchester City Directory 1956.

Im Jahr 1961, war Sigfried Lehrling („trainee) bei John Hancock Life Insurance Company, ein Versicherungsunternehmung.

Quelle: Worchester City Directory 1961

Im Jahr 1970, heiratete Sigfried Dorothy Zito in Boston und sie wohnten in Boston. Irgendwann sind sie nach Allston, eine Kleinstadt in der Nähe von Boston, gezogen.

Quelle: Privatbesitz Grünbaum/Meller
Quelle: FindaGrave
Quelle: FindaGrave

Am 9 Februar 1991 starb Arno Sommer in Worchester, und danach hat Mira etwas Zeit in Allston gewohnt. Am 4 August 200o verstarb Mira Sommer, geb. Grünbaum, in Worchester; sie war 97 Jahre alt.

Sigfried und Dorothy lebten weiter in Allston; im Jahr 2012 ist Dorothy gestorben und am 14 August 2014 verstarb Sigfried.

Am 27. November 2019 wurden Stolpersteine für die Familien Grünbaum u. Neuhaus vor dem Haus in der Bahnhofstrasse verlegt. Ein Nachfahre der Familie von Noah Grünbaum ist aus Australien nach Themar gekommen um an der Verlegung teilzunehmen.

27 November 2019/G. Meller vor dem ehemaligen Haus von Hugo u. Klara Grünbaum

Quellen:
Privat Besitz Grünbaum/Meller
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Arolsen Archiv
Ancestry.com 
Gedenkbuch: Opfer der Verfolgung der Juden unter der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in Deutschland 1933-1945
Jüdische Gemeinde Marisfeld (Kr. Hildburghausen). Matrikel 1768-1938, Koblenz: Bundesarchiv 1958.
Jüdische Gemeinde Themar (Kr. Hildburghausen). Matrikel 1820-1938, Koblenz: Bundesarchiv 1958.
Jüdische Gemeinde Walldorf Werra (Kr. Meiningen), “Matrikel, 1839-1938“.
Liesenberg, Carsten und Harry Stein, Deportation und Vernichtung der Thüringer Juden 1942.
Regierungsblatt für das Herzogthum Sachsen-Meiningen (RG/SM, Staatsarchiv Meiningen
Yad Vashem, Transport, Zug Da 27 von Weimar, Weimar (Weimar), Thüringen, Deutsches Reich nach Belzyce, Lublin, Lublin, Polen am 10/05/1942