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1937 wurde Meinhard Götz´s Bruder, [Gustav], nach Buchenwald geschickt, weil er Radio gehört hat. Es gab außerdem den kleinen Bruder Herbert, die zwei älteren Schwestern Lilli und Ilse, sowie die kleine, drei Jahre alte Sieglinde. Gus lebt jetzt in New York. Ich habe hier eine ganze Weile gearbeitet, habe alles getan, was auf einem Bauernhof zu tun ist: Ich habe Kühe gemolken, die Felder mit dem Pferd und der Kuh oder mit zwei Ochsen gepflügt. Ich war es ebenso gewohnt, das Pferd zu reiten, wie man auf dem Foto sehen kann. Das große Tor führte zur Scheune, das kleinere zum Stall. Ich hatte ein Zimmer über dem Stall auf der linken Seite. Frau Götz war sehr religiös und hätte am Sabbat nie einen Lichtschalter angefasst, aber sie musste die Kühe melken. Eines Morgens am Sabbat sind Meinhard und ich sehr früh aufgestanden und haben die Kühe gemolken. Frau Götz kam, um ihre Routinearbeit im Dunkeln zu verrichten. Natürlich kam keine Milch, wegen der Dunkelheit konnte sie nicht sehen, dass die Euter leer waren. Solche ausgefallenen Flüche habe ich selten gehört. Wir hatten uns in einem Futterbehälter versteckt, unser Lachen jedoch verriet uns.
Einmal beförderte ich Dünger mit den Ochsen. Dabei wurde ich von einem Schneesturm überrascht. Wegen der Kälte verweigerten die Ochsen die Arbeit. Also habe ich die Plätze der beiden im Zuggeschirr getauscht. Das hat sie so verwirrt, dass sie einfach weiter ihre Arbeit verrichtet haben – plot, plot, plot …. Ein anderes Mal musste ich eine Maschine zum Futter zerkleinern während eines Gewitters nach Themar bringen, damit diese bei Gassenheimer repariert werden konnte. Ein weiteres Mal sollte ich ein paar Kühe aus Hildburghausen mitnehmen, um sie nach Schleusingen zu bringen. Ich brachte sich über die Berge durch den hildburghausener Stadtwald, durch Gerhardtsgereuth und Geisenhöhen nach Schleusingen. Es war nachts und es lag Schnee, aber es schneite nicht.
Häufig mussten wir sehr früh am Morgen zum Bahnhof gehen, um junge Bullen zu entladen. Sie waren mit verbundenen Augen in Viehwaggons zusammengefercht. Um sie festhalten zu können, wurde ihnen ein Strick umgebunden. Mit diesen mussten wir die Bullen führen und ihnen mit einem Stock auf die Nase stupsen. Mit sechszehn war ich ein richtiger Stierkämpfer. Ein anderes Mal habe ich meine Skier mit dem Zug nach Ilmenau genommen, ganz oben auf die Bergspitze. Dann bin ich ins Tal gefahren und habe an allen Dörfern gehalten, um Geld für Herrn Götz zu sammeln. Jeder schuldete ihm etwas. Manchmal bekam ich eine Tasse heiße Suppe oder Kaffee, jedoch kein Geld. Denn keiner wollte dem Juden etwas bezahlen. Einige behaupteten, die Kuh ware ausgetrocknet und gäbe keine Milche mehr, der Jude hätte sie betrogen.
[Anmerkungen: Gustav Götz, geboren 1920 in Schleusingen, erreichte New York im Mai 1939; er starb dort im Februar 2003. Meinhard ist zuerst nach Palästina ausgewandert und anschliessend nach den Vereinigten Staaten. Ihre Schwester Lilli geboren 1917 in Schleusingen, stieß im Mai 1947 zu ihnen; Ilse, geb. 1915 in Schleusingen, auch in Mai 1947 von England. Die Mutter, Frau Ilse Bertha Götz, geborene Zeilberger, die 1890 in Ermershausen zur Welt kam, ihr Ehemann Theobald (geboren 1880 in Schleusingen), ihr Sohn Herbert (geboren 1920 in Schleusingen), sowie ihre Tochter Sieglinde (geboren 1932 in Schleusingen) wurden alle am 10. Mai 1942 nach Belzyce deportiert.]
1938: Landwerk Neuendorf im Sande bei Fürstenwalde an der Spree.
Das lag östlich von Berlin und war eine Ausbildungsstätte für Landwirtschaft, in diesem Fall für Argentinien.
Ich habe die Namen der Meisten vergessen. Der Junge neben Peter (3. Peter Zellner) kam aus Stuttgart. Er ist in einem Zirkus aufgewachsen und war ein Akrobat und Tiertrainer. Ich werde letztendlich viele Geschichten über diesen Ort und diese Menschen erzählen. Auf dem Bild kam ich gerade aus dem Pferdestall, wo ich einen großen Streit mit dem Vorarbeiter hatte. Er mochte es nicht, dass ich mein Team nicht mit der Peitsche bestraft habe und für sie Hafer gestohlen habe.
Hanna Zamora war zu der Zeit meine Freundin. Sie hatte kupferfarbenes Haar. Wir waren wie eine Einheit, dass machte meinen Vater verrückt. Einen Tag, an dem ich auf dem Bauernhof ankam, traf ich Hanna. Sie weinte, denn einige Kollegen hatten Geschichten über sie erzählt. Sie sagte, es seien Lügen. Natürlich glaubte ich ihr. Denn sie war eine Jungfrau in Not. Also musste ich sie beschützen. Ich spielte Detektiv, beschattete den Kollegen ohne dass er es bemerkte. Er war ein Störenfried, der sich wichtig machte. Ich konnte ihm ein Bein stellen und er gestandt, dass er gelogen hatte. Sonst wäre Hanna als untauglich nach Hause geschickt worden, was in dieser Zeit ein Todesurteil bedeutete. So we hit it off! Ich war sechszehn, fast siebzehn, und sie fünfzehn Jahre alt. Einmal machte ich einen Vorschlag, dass alle Kuchen und Kekse für eine große Party mit Kaffee aufbewahrt werden sollten. Ich lagerte alle Hilfspakete, welche Süßigkeiten beinhalteten in meinem Schließfach. Und eines Tages war es voll und wir konnten unsere Party feiern. Mein Vater saß mit Hanna und mir am Kopf des Tisches. In diesem Augenblick erzählte jemand unsere Verlobungsfeier sei. Oh Je. Mein Vater dachte, we had put one over him and blew his top (?). Keiner war mehr überrascht als Hanna und ich. Wir waren beleidigt und sprangen aus dem Fenster, um in den Wald zu flüchten. Dort blieben wir eine ganze Weile. Danach war alles wieder gut.
Ein altes Lied: „Was kann der SIgismund dafür, dass er so schön ist, was kann der Sigismund dafür, dass man ihn liebt.“
Friedel war meine nächste Freundin, nachdem Hanna weg von Neuendorf gegangen ist. Wir waren sehr verliebt und sehr romantisch. Sie wollte es langsamer angehen lassen, damit unsere Freundschaft nicht durch eine Liebesaffäre zerstört werden würde. „Very smart cookie,“ was hätten wir tun sollen, wenn etwas passiert wäre? Zu dieser Zeit wuchs mir einer kleiner Flaum im Gesicht und sie sagte, dass er sie kratzen würde. Aber ich wollte nicht mit dem Rasieren beginnen, daher wurde der Flaum immer dichter. So brachte sie ihren Bruder Sigi ins Spiel. Eines Sonntags morgens hat mich die gesamte Bande gefasst, mich an einen Stuhl gebunden und Sigi fing an, mein Gesicht einzuschäumen und mich zu rasieren. Dank dem Himmel für eine sichere Rasur! Junge, er und seine Bande hatten viel Spaß. Danach brachte ich ihn dazu, mich jede Woche zu rasieren.
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