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Kapitel 1: Einleitung Themar/Thüringen, Kreis/Landkreis Hildburghausen, Regierungsbezirk/Landkreis Suhl ist die kleine Stadt, wo ich, meine Mutter und Onkel Oskar geboren wurden. In 800 AD hiess sie Tagamar. Aus meiner Erinnerung werde ich versuchen, die Geschichte einer kleinen Stadt, seiner Menschen, seiner Geschichte, seiner Juden (so gut ich kann), und sogar einige seiner geologischen und anthropologischen Merkmale zu erzählen.Es scheint als ob Themar eine Geschichte von mehr als 1000 Jahren hat. Ich hörte eine Geschichte von einem alten Dorf in einem See oder einem Sumpf, der auf Stelzen gebaut war. Die Geschichte des Werratals in diesem Bereich ist eine der Erdbewegungen und Überschwemmungen. Im Jahre 1595 hat ein Bergsturz ein kleines Dorf namens Dörfles begraben und den Eingefallener Berg geschafft. Am anderen Ende des Tales, an Henfstädt vorbei, machte die Landstrasse eine große Biegung um einen Bergrücken, wahrscheinlich eine Gletschermoräne, die damals wahrscheinlich wie ein Damm für den Fluss war. Auf der anderen Seite des Grates hatte der Fluss den Damm durchbrochen und so war das Tal entwässert. Dieses war das Nadelöhr. Es scheint, dass das Tal ein wichtiger Handelsweg war. |
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Vor Henfstädt ist eine Raubritterburg-Ruine namens Osterburg. Von der Spitze der Burg konnte man ziemlich weit in beiden Richtungen sehen. Als Kinder haben wir um die Osterburg gespielt. Aufsteigen war nicht ohne Gefahr. Wir hatten Soda-Flaschen ein bisschen Karbid drin und als wir es nutzen wollten, gossen wir ein bisschen Quelle in die Flasche ein und warfen sie. Sie ging ab wie eine Handgranate. Warum niemand verletzt wurde, verstehe ich immer noch nicht. Wir verwendeten diese Methode auch, um Fische zu fangen. Jetzt eine andere Geschichte: im Wald in der Nähe von Grub nördlich von Themar (das Schulhaus wurde von US-Truppen am Ende des Zweiten Weltkrieges als Lazarett verwendet) waren die Hünengräber zu finden. Diese riesigen Felsblöcke wurden verwendet, um eine Grabkammer zu bauen und die Skelette, die gefunden wurden, waren von einer bemerkenswerten Größe. Es gab eine Ausstellung im Museum in Meiningen.Zurück zu den Überschwemmungen. Ich erinnere mich an einige „Loo Loos.“ Während des Mittelalters ist die Tochter eines Bäckers im Hochwasser ertrunken und danach, zu ihrer Erinnerung, hat er einen Fonds gestiftet. Danach bekam zum Jahrestag jedes Schulkind in Themar eine riesige Brezel. Ich frage mich, ob das noch immer stattfindet.Ungefähr 1859 oder 1860 kam die Eisenbahn in das Tal. Bei Hochwasser wurden Langhölzer den Fluss hinunter geflößt bis zum Meer im Norden. Themar selbst hatte einen Ruf als Zentrum der Möbelherstellung, das meiste davon wurde von Hand gemacht und handwerkliche Qualität war sehr wichtig. Es scheint, das geschieht auch jetzt noch. Nun etwas über die Juden von Themar. Es gibt Berichte von jüdischen Händlern in der Region ab dem 10. Jahrhundert. Die beste Quelle für Informationen, die ich mir vorstellen kann, ist die Encyclopaedia Judaica. Es scheint, als ob der Landgraf oder Thüringer Graf die Juden während der mongolischen Invasion – wofür die Juden selbstverständlich verantwortlich waren – verteidigt hat.Mein Großvater [Abraham Schwab, geb. 1860 Marisfeld, gest. 1937 Themar] und seine Eltern [Elias und Betty Schwab] kamen aus einem kleinen Dorf namens Marisfeld. Im Laufe der Geschichte werde ich über einige Juden im Zusammenhang mit den Bildern ihrer Häuser berichten. Über andere das Folgende: die Familie Frankenberg waren Viehhändler. Ein Mann namens [Louis] Sander aus Xanden am Rhein heiratete eine Frankenberg Tochter [Hilde, geb. 1890 Themar, gest. 1938 Würzburg], und ihre Kinder waren Bubi (Norbert) und Marion. Norbert hatte Epilepsie und wenn er einen Anfall hatte, vor allem während der Schulzeit, war ich aus der Klasse aufgerufen, um ihm zu helfen. Ich hatte gelernt was zu tun war, da mein Vetter, Egon Schwab [geb. 1922 Schleusingen, gest. 1933 Schleusingen], auch Epileptiker war. Egon war der Sohn meines Onkel Oskar und starb sehr jung in einer Einrichtung während eines Anfalls.Auf dem Weg nach Wachenbrunn [südwestlich von Themar] wohnten ein alter jüdischer Mann mit seiner Frau, namens [Max und Alma] Bachmann. Zweimal hat er in der französischen Fremdenlegion gekämpft, in Nordafrika, Madagaskar und in Indochina in der Nähe von Hanoi — so lange ist mir Vietnam bekannt. Max Bachmann war daran gewohnt, öfters zu husten und spucken. Einmal hat er vor einer Anzeige-Box der antisemitischen Zeitung Der Stürmer gehustet und gespuckt. Er wurde verhaftet und mit so etwas wie „Beleidigung der NSDAP“ angeklagt. Da genügend Menschen ausgesagt hatten, dass Max immer hustete und spuckte, ohne nachzudenken, hat man ihn wieder freigelassen — aber das war was Seltsames in jenen Tagen.
Es gab eine andere Familie namens Müller. Meine Tante Frieda [Frieda Schwab, geb. Steindler, war die Frau von Oskar Schwab] gehörte zu dieser Familie. Es gab verschiedene Müller-Familien — Leopold und Pauline Müller, geb. Steindler, hatten einen Sohn namens Julius. Er ist nach Dänemark ausgewandert. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Julius war der erste, der uns hebräische Lieder und etwas vom Zionismus gelehrt hat. [Anmerkung: Leopold und Pauline Müller hatten drei Kinder die alle in Themar geboren waren: Franziska, geb. 1909, Manfred, geb. 1913, und der jüngste, Julius, geb. 1919. Leopold Müller starb 1924; Julius ging nach Dänemark in der Mitte der 1930er Jahre. Im Jahrgang Oktober 1943 ist er nach Schweden weiter geflohen aber nach dem Krieg kehrte er wieder nach Dänemark zurück, wo er heiratete und zwei Söhne bekam. In Jahrgang 1992 ist Julius gestorben. Manfred Müller starb 1932 in Themar und wurde auf dem Marisfelder Friedhof begraben. Im Jahrgang 1942 wurde Pauline Müller deportiert; im Jahrgang 1943 wurde Franziska Müller Neumann nach Auschwitz deportiert mit ihren zwei Söhnen.] Lehrer Levinstein ertränkte sich in der Werra, nachdem er aus Buchenwald nach der Kristallnacht frei gelassen wurde, er war nicht noch einmal nach Hause gekommen. Sein Sohn, Heinz, ist früh nach USA gegangen. Seine Frau war eine geborene Eisenfresser aus Hof. Eine Verwandte namens Wolf wohnte mit der alten Lady Eisenfresser in der Villa Wolf [#17 auf Karte] uns gegenüber in der Schulstrasse. [Anmerkung: Lehrer Levinstein war Moritz Levinstein. Sein Sohn Heinz ging in die Vereinigten Staaten im Jahre 1935. Die Frau von Moritz, Nanett, ist Nanett geb. Mayer, nicht Eisenfresser. Nanetts Mutter hieß Eisenfresser, Karoline Mayer geb. Eisenfresser. Die Verwandte ‘Wolf’ war Frieda Wolf, geb. Mayer, die Schwester von Nanett. Die Eisenfresser, die mit Frieda in der Villa Wolf wohnte, war Klara Eisenfresser. Klara und Karoline Eisenfresser waren Schwestern.] |
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Auf der rechten Seite sind der alte Friedhof und ein Teil der Stadtmauer zu sehen. Ein wenig links, vor dem Ende der Straße, sieht man das Obere Tor und den Anfang der Hildburghäuser Straße. In dem gelben Haus links lebte zu meiner Zeit die einzige katholische Familie. Ihre Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen waren in der gleichen Schulklasse wie ich, aber sie haben vor mir die Stadt verlassen. Eine katholische Armee zerstörte die Stadt im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648). Der Feldherr hieß Tilly. Das geschah 1625-1626, weil etwa 5000 englische Soldaten in Pommern gelandet waren. Anschließend haben sie alle befestigten Städte und verdächtigen Orte entlang der Werra zerstört, um sie zu besiegen. Seitdem waren die Katholiken in Themar nicht mehr sehr beliebt. Die Leute im Haus hatten im Hinterhof ein Kfz-Geschäft. Er hieß Jacobs und war Kriegsveteran. Auf dem Weg zum Friedhof hat die Musikkapelle allerlei traurige Lieder gespielt, z. B. „Wo wirst du sein in 100 Jahren?“ u.s.w. Aber auf dem Rückweg konnten wir Kinder mit dem Tempo kaum mithalten, so schnell waren Musik und Marsch. |
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