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Hier sind wir! Das Geburtshaus von Manfred Rosengarten 15.Juli 1921
Hier ist das Haus, in dem ich geboren wurde, im zweiten Stock im Eckzimmer. Dort wohnten meine Eltern mit meinen Großeltern.
Der Vermieter hieß Sam [Saam], er war ein Uhrmacher und Juwelier. Wer weiß? Vielleicht hatte das etwas mit meinem Leben und zukünftigen Beruf zu tun. Vor dem Haus hing das Modell einer großen Taschenuhr zur Werbung für das Geschäft..
[Anmerkung: Im Jahre 1983 fragte der 80-jährige Karl Saam die Fotografin, für wen sie fotografiere. Als er den Namen ,Rosengarten’ hörte, hat er gleich gesagt, ,,den kenn ich, bitte grüssen Sie ihn ganz herzlich und bitten Sie ihn, uns zu schreiben.” Das hat Manfred getan und ermutigte einige seiner ehemaligen Schulkameraden zu antworten und ihm über ihr Ergehen und Leben seit dem 2. Weltkrieg zu schreiben. Sie taten das.
Das Ergebnis war, wie es der Rabbi zu Manfreds Beerdigung 1987 sagte, „eine Lawine“ von Briefen, die den Ozean überquerten zwischen Manfred und einer kleinen Gruppe von Klassenkameraden, die noch in Themar lebten. Die Geschichte dieses Fotos war der Anfang unserer Website zur Erinnerung an Manfred Rosengarten und an die jüdische Gemeinde von Themar.]
Ich habe einige Erinnerungen an dieses Haus, ohne dass mir das jemand erzählt hätte. Viele Jahre später erzählte ich meinen Eltern zu ihrer Überraschung, woran ich mich noch erinnerte. Im hinteren Teil des Hauses gab es einen Hof. Eine Veranda lief an der zweiten Etage entlang. Von unserer Küche, die sehr dunkel war, sah man den Hof. Im Vorzimmer (drittes Fenster auf der rechten Seite, zweiter Stock) war ein Kachelofen, mit dem die Stube geheizt und in der Küche gekocht wurde [Anm.: mit einem Kachelofen kann man nicht kochen.] Meine Mutter hatte eine graue Katze. Es gab ein Sofa, worauf ich Purzelbäume machte, bevor ich laufen konnte. Einmal landete ich in einem Rattan-Ständer mit der Kakteen-Sammlung meiner Mutter. Danach war der Dreck in der ganzen Stube.
Das Zimmer meiner Eltern war das Eckzimmer auf der linken Seite. Ich lernte mit 10 Monaten laufen. Einmal hat meine Mutter mich an der Hand auf die Straße mitgenommen. Irgendwie riss ich mich los und lief fast bis zur Ecke am Kaufhaus Stern. Sie hatte ihre Mühe mich zu fangen. Kurz nach der Geburt meines Bruders zogen wir in eine andere Wohnung. Ich war ca. 2 Jahre alt. Die neue Wohnung war in der Meininger Straße, nicht weit vom ,,Thüringer Hof“, dazu später mehr.
Das Haus mit dem kleinen Türmchen war ein Werkzeug-Geschäft, das Haus mit dem Schornstein ist Sterns Kaufhaus, daneben ist das Kaufhaus Müller. Die drei Häuser waren miteinander verbunden. Die beiden Häuser hinter dem LKW gehören zu dem Komplex. Max Müller war ein entfernter Verwandter. Seine Schwägerin [Pauline Müller, geb. Steindler] war eine Schwester meiner Tante Frieda Schwab [geb. Steindler]. Max hatte einen Sohn namens Sammy [Semi], der ein wenig ,meschugge‘ war, er wurde von den Nazis durch das Euthanasieprogramm ermordet. Max hatte eine sehr gute und große Briefmarkensammlung. Alle diese Menschen sind nach Osten transportiert und ermordet worden.
[Siehen Sie: Die Familie von Salomon u. Karoline (geb. Friedmann) Müller]
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Links wohnte der Stellmacher und Wagenbauer, Weigand. Ich habe ihm stundenlang zugesehen. Im Hinterhaus wohnte ein alter Mann, der keine Miete zahlte. Er reiste durch die Gegend und verteilte religiöse Literatur. Wir nannten ihn “Heiliger Gustav.”
Das nächste Haus war die Schlosserei Haass [#40].
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Rechts in dieser Gasse, namens Wassergasse war die Brauerei ,,Heubner Bier.” [#86]. Ein bisschen weiter wohnte Merkel, der Pferdefleischermeister [#87]. Die Leute haben Pferdefleisch ,,Trap Trap” genannt — ,,Rindfleisch ist teuer und Schweinefleisch ist knapp, da gehn wir zum Merkel und kaufen Trap Trap” war während der Depression (Weltwirtschaftskrise) ein bekanntes Lied in Themar. Einer von den Merkels gab mir Boxunterricht zusammen mit seinem Sohn Erich, der ungefähr in meinem Alter war.
Jetzt schauen wir in die Wassergasse zurück. Das Haus mit der Plattform oben war das Eishaus für die Brauerei. Im Winter wurden die Eisblöcke in einem zugefrorenen Teich (wo wir auch Schlittschuhlaufen gingen) geschnitten. Anschließend wurden sie mit Sägespänen bedeckt und hier gelagert. Sie hielten hier das ganze Jahr. Das Eis wurde für die Kühlung des Bieres verwendet, in den Kneipen und so weiter. Die kleine Straße nach rechts, [Rosengasse] führt zum Marktplatz. Willi Förster lebte in einem Haus [#58] in dieser Straße neben dem Eishaus.
An der Brücke über dem Weißbach, in nördlichr Richtung liegt Marisfeld und in nordwestlichr Richtung Meiningen.
Das Haus hinter dem Telegrafenmast ist das Gassenheimerhaus, mehr darüber später. Hinter dem Baum kann man eine Doppelgarage sehen, wo Herr Kerner seinen Mercedes Benz Limo stehen hatte. Es gab einen elektrischen Stecker zwischen den Türen.
Mein Freund Karl Heinz Kerner und ich wollten die Finger hineinstecken, um einen elektrischen Schlag zu bekommen. Der Chauffeur hat es uns aber verboten.
Hotel „Drei Rosen“ gehörte dem Vater von Karl-Heinz Kerner. Für längere Zeit waren wir ganz unzertrennlich. Die Garage ist auf der rechten Seite. Der Baum ist ein Rosskastanie. traurig sieht das jetzt aus. Dort war es einmal sehr schön. Als meine Mutter und Onkel Oskar jung waren, sind die Juden von weit entfernt hierher gefahren, um den jährlichen Purim-Tanz zu feiern und einander zu treffen. Die Mutter von Hans Gelfand war auch mit dabei. Hotel „Drei Rosen“ gehörte dem Vater von Karl-Heinz Kerner. Für längere Zeit waren wir ganz unzertrennlich. Die Garage ist auf der rechten Seite. Der Baum ist ein Rosskastanie. traurig sieht das jetzt aus. Dort war es einmal sehr schön. Als meine Mutter und Onkel Oskar jung waren, sind die Juden von weit entfernt hierher gefahren, um den jährlichen Purim-Tanz zu feiern und einander zu treffen. Die Mutter von Hans Gelfand war auch mit dabei.
Es gab dort einen großen Biergarten, wo Karl-Heinz und ich Robinson Crusoe spielten und Baumhäuser bauten. Öfters gab mir der Chef ein belegtes Brötchen (Sandwich) oder schickte eines mit Karl-Heinz in die Schule. Er glaubte, ich könnte das brauchen – und er hatte recht!
Gegenüber dem Hotel waren der Schützenplatz und das Schützenhaus [#50]. Jedes Jahr zu meinem Geburtstag gab es das eine Woche dauernde Schützenfest mit allen Arten von Attraktionen Karussells, Kaspertheater, Geschicklichkeitsspielen usw. Schießwettbewerbe fanden jedes Jahr statt, um den “Schützenkönig” zu küren. Es gab immer eine Parade der Schützen in ihren Uniformen und mit Gewehren. Die alten Männer (oder Schützen?), 3 oder 4 von ihnen, fuhren in einem Pferdewagen. Ich half den Schaustellern immer bei Botengängen und beim Putzen, auch dem Puppenspieler reichte ich die Handpuppen. Immer bekam ich dafür Eis oder konnte auf einem Pferd reiten. Ich kannte auch die Zigeuner, die neben dem Messegelände lagerten. Sie reparierten Töpfe, Pfannen und Siebe. Sie hatten Affen und ich saß mit ihnen an ihrem Lagerfeuer und lauschte ihrem Gesang.
Hier sind wir am Weissbach und schauen auf das Hotel zurück. Die Brücke ist zwischen dem Thüringer Hof [#43] und dem Gassenheimerhaus [#46]. Auf der rechten Seite lebte Dr.Schmitz [#47], der bei meiner Geburt geholfen hat.
Hinter dem Gestrüpp am Bachrand ist ein kleiner Wall angelegt. Mein Vater, wenn er arbeitslos war, hat hier geholfen, das Hochwasser einzudämmen, das so stark sein konnte, wie man es sich nicht vorstellen kann.
Als 14-jähriger Junge [1935], begann ich hier als Mechaniker-Lehrling. Nach 3 Monaten war ich entlassen, weil ich Jude war und nicht Mitglied der Deutschen Arbeitsfront sein durfte, obgleich Gassenheimer eine jüdische Firme war.
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Zum Schluss sind wir am Ende der Bahnhofstrasse. Früher war im Hauptgebäude ein sehr gutes Restaurant, so hat man mir gesagt. Die Hauptstrecke lag zwischen den zwei kleinen Gebäuden mit den abgerundeten Dächern. Die Bahnstrecke wurde ca.1859 fertig und führte entlang der Werra. Die Strecke auf der linken Seite ging nach Ilmenau durch Schleusingen, wo Onkel Oskar [Schwab] lebte.(Zwischen den beiden kleinen Überdachungen war die Unterführung). Ilmenau liegt ganz oben im Thüringer Wald, der Wald ist dem Schwarzwald sehr ähnlich. Nach oben wurde es so steil, dass der Lokführer einen niedrigen Gang einlegen musste, damit der Zug nicht rückwärts, nach Themar rutschen konnte. Manchmal war es so langsam, dass man zu Fuß daneben gehen und Blumen pflücken konnte. Gegen Ende des Zuges war ein Wagen für die ‘Vierte Klasse’ – in der Mitte stand ein Kanonenofen und an den Seiten waren Bänke.
Die Leute in diesem Wagen hatten Hühner, Ziegen, große Körbe und Fahrräder dabei. Es war billig und es gab viel Spaß. Einmal fuhr ich nach einer langen Wanderung in den Bergen mit und ein Mann mit einem Akkordeon unterhielt uns königlich. Ein kleines Gedicht in Mundart, an das ich mich teilweise erinnere …. ,,Geht her und setzt euch un mich röm ich will euch eppes söh. Die Reiche streite bröm un dröm, die könne net geklöh, drum fange hold die Bauer ab und quatsche von der Eiseboh …. Die Eiseboh Meschanerie, die fährt den Werragrunde hie, mit Mensche, Säu und anner Vieh.“
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