Am 1. September 1939, als die deutschen Truppen über die Ostgrenze nach Polen vordrangen, schrieb Clara Müller ihrem Sohn Willi in Palästina über das Kommen und Gehen der Juden in Themar. „Lieber Willi“, schrieb sie:
Ich habe gerade an Meinhold geschrieben, jetzt bist du dran. Du wirst diesen Brief erhalten, wenn Papa zurück ist. Er hat Herbert nach Dresden begleitet. Herbert will versuchen, sein Visum zu bekommen. Lothar [Frankenberg] ist in Berlin und hat sein Visum bekommen und Herbert Gassenheimer ist schon in England. […] Herbert [Müller, Willis Bruder] hat seinen Reisepass. Norbert [Müller] ist auf dem Weg nach England. Seine Leute [Sebald und Laura Müller und ihre Tochter leben in Nürnberg] wollen uns besuchen, glaube ich. Mani-Rhina [Manfred Nussbaum] mag London. Ich habe Ihnen schon erzählt, dass Käthe [Nussbaum Wurms, die in Amsterdam lebte] eine kleine Tochter hat. Ich werde Euch auf dem Laufenden halten, wenn der liebe Papa wieder zurück ist. Ich weiß nicht, wie lange diese Karte braucht, um Dich zu erreichen, denn die Post ist im Moment ziemlich unzuverlässig. Jetzt will ich der alten Oma {Bertha Nussbaum, Claras Mutter] schreiben, die keine andere Unterhaltung hat als die Briefe und Karten ihrer Verwandten.
Achtzig Jahre später helfen die Briefe und Postkarten von Clara und Max an ihre Söhne, die jüdische Gemeinde von Themar zu Beginn des Zweiten Weltkriegs zu rekonstruieren. Es ist definitiv eine Herausforderung: Die beste Schätzung zum jetzigen Zeitpunkt – 20. August 2019 – ist, dass mindestens 50 Mitglieder der jüdischen Familien von Themar in Themar und 3 Mitglieder im nahe gelegenen Marisfeld lebten. Diese Zahl ergibt sich aus Dokumenten im Themarer Stadtarchiv und aus Zeugnissen der jüdischen Familien wie den Briefen von Max und Clara Müller.
Zwei Dokumente im Stadtarchiv, die von besonderem Interesse sind, stammen vom 27. September 1939 und vom 6. Oktober 1939. In der Notiz vom 27. September 1939 werden die Juden aufgeführt, die sich Anfang September in Themar aufhielten und Themar an diesem Tag verließen. Die offizielle Liste vom 6. Oktober 1939 weist 33 Juden aus, die sich zu diesem Zeitpunkt in Themar aufhielten, und enthält die Namen von zwei Männern, die am 27. September abgereist waren: Markus Rosenberg und Max Steindler. Die Erklärung dafür: Die Männer, die in Zwangsarbeitslager wie Neundorf gebracht wurden, mussten bis zur Erschöpfung arbeiten und durften dann kurz nach Hause zurückkehren, um sich zu erholen, bevor sie wieder zur Zwangsarbeit geschickt wurden.
Die offizielle Liste vom 6. Oktober 1939 schloss die Judenchristen in Themar aus, wie Erna Haass, geborene Kahn, die zum Christentum konvertierte, und ihre Zwillinge mit Hermann Haass, Johanna und Günter, die Tochter von Adolf Kahn und die Söhne von Louis und Olga Walther. Dieser Ausschluss war nur eine Falle und eine Täuschung: Aus offiziellen Dokumenten geht hervor, dass das NS-Regime sie als jüdisch betrachtete und sie definitiv in seine rasch eskalierende antisemitische Politik einbeziehen würde.
Inoffizielle Dokumente weisen auf Personen hin, die sich Anfang September in Themar aufhielten, aber vor dem 6. Oktober 1939 abreisten: Walter Rosenbaum zum Beispiel reiste Mitte September zu einer „Hachschara“-Ausbildung in Blankenese bei Hamburg ab; Clara Müller schickte die Nachricht am 18. September 1939 an ihren Sohn Willi in Palästina.
Die folgende Karte basiert auf zahlreichen Dokumenten aus dem Stadt- und Familienarchiv.
Siehe auch:
Der Zweite Weltkrieg und die jüdischen Familien von Themar
Wer lebte im September 1939 noch in Themar?
Wer war am 3. September 1939 in Großbritannien?
Zweiter Weltkrieg und Feindausländer-Tribunale in Großbritannien
Das Kindertransportprogramm (Seite im Aufbau)
Das Kitchener Camp Programm (Seite im Aufbau)