Am Samstag, den 27. Januar 1945, befreiten die sowjetischen Truppen Auschwitz. Von den 7.000 verbliebenen Häftlingen hatte ein Mann eine direkte Verbindung zu Themar. Seine Geschichte – auch wenn wir nur wenig davon wissen – gibt uns einen Einblick in das Leben eines derjenigen, die Auschwitz überlebt haben.
Otto Baer wurde am 12. Juli 1895 in Themar geboren. Sein Vater war Samuel Bär, geboren am 28. Januar 1865 in Marisfeld; sein Großvater, Aron Bär (die Schreibweise von Bär änderte sich mit dem Umzug nach Themar in „ae“), gehörte zu einer Familie, die im Dorf Marisfeld bis ins Jahr 1700 zurückreichende Wurzeln hatte. Aron, seine Frau Sara und ihre Familie zogen irgendwann in den späten 1860er oder frühen 1870er Jahren nach Themar – wir finden sie in der Einwohnerliste von Themar von 1875. Samuel wäre dann zehn Jahre alt gewesen und hätte seine Schulausbildung in Themar fortgesetzt. Siehe Nachkommenliste von Samuel Bär (1793-1854).
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Ottos Mutter Lina, geborene Müller, wurde am 28. Januar 1867 in Würzburg, Bayern, geboren, und das ist im Moment alles, was wir über ihre Herkunft wissen.
Otto Baer wurde 1895 in Themar geboren; seine Schwester Klara wurde 11 Jahre später, 1906, geboren. Beide Kinder gehörten zu einer lebhaften Gruppe junger Leute in Themar, besuchten die Volksschule und erhielten jüdischen Religionsunterricht bei den Lehrers und bei Hugo Friedmann.
Aus dem Themarer Familienregister geht hervor, dass Samuel und Lina von Themar nach Berlin zogen, und wir finden sie ab 1915 in den Berliner Adressbüchern in der Jablonskistr. 26 (Bild links) im Stadtteil Prenzlauer Berg. Samuel und Lina dürften Ende vierzig gewesen sein, Otto knapp 20 und Klara 9 Jahre alt.
Samuel Baer starb am 25. Dezember 1916; Lina beschloss, in Berlin zu bleiben, und sie und Klara und vermutlich auch Otto wohnten weiterhin in der gleichen Wohnung in der Jablonskistr. 26.
Das Adressbuch der Jüdischen Gemeinde von Groß-Berlin aus dem Jahr 1931 enthält einen Eintrag für Lina und Otto Baer in der Jablonskistr. 26. Von da an bis Ende 1935 gab es unter dieser Adresse einen Eintrag für Frau L. Baer; von 1936 bis 1939 lautete der Eintrag auf O. Baer, was darauf hindeutet, dass seine Mutter entweder gestorben oder in ein Altersheim umgezogen war.
Im Berliner Adressbuch von 1925 wird O. Baer als Kfm/Kaufmann/Kaufmann ausgewiesen, im Buch von 1928 als Vertreter oder Handelsvertreter. Im Jahr 1936, unter dem Naziregime, wird er als
Handlungsgehilfe oder Angestellter.
Wir wissen nicht, ob Otto Baer in all den Jahren noch Verbindungen zu Themar hatte oder ob er mit Selma Stern, die mit ihm verheiratet war, Kontakt hatte, als Selma 1940 nach Berlin zog. Sie lebten in verschiedenen Stadtteilen Berlins. Die einzige Spur von Otto in den offiziellen Unterlagen ist sein Brief vom 27. Januar 1939 an den Standesbeamten von Themar (Bild links), in dem er bestätigt, dass er seinen Vornamen „Israel“ hinzufügt, wie es das Gesetz vom August 1938 verlangt.
Otto war 46 Jahre alt, als die Deportationen aus Berlin am 18. Oktober 1941 begannen, und sein Alter und seine Arbeitsfähigkeit haben ihn möglicherweise vor diesen ersten Deportationen bewahrt. Doch ein Jahr später, als das Naziregime die Deportation von Juden aus Berlin beschleunigte, gehörte auch er zu den Zielpersonen. Anfang Dezember 1942 wurde er in der Jablonskistr. 26. Am 9. Dezember 1942 wurde er zusammen mit 993 anderen Juden in Viehwaggons verladen und in Richtung Osten nach Auschwitz transportiert. Der Eintrag für Otto Baer in der Transportliste für Osttransporte 24 unten besagt, dass er ledig und arbeitsfähig war.
Nach der Ankunft in Auschwitz am 10. Dezember 1942 führte die SS ein Auswahlverfahren durch. Einhundertsiebenunddreißig (137) Männer und Frauen – darunter Otto Baer – wurden zur Arbeit ausgewählt und erhielten die Nummern 26621-26645. Etwas mehr als zwei Jahre lang gelang es Otto Baer, unter den brutalen Bedingungen des Lagers am Leben zu bleiben. Nach Angaben der Historikerin Rita Meyhöfer waren am 27. Januar 1945 nur noch er und eine weitere Person aus dem Transport vom 9. Dezember 1942 am Leben. Otto Baer stand kurz vor seinem 50. Geburtstag.
Irgendwann nach der Befreiung fand die amerikanische Armee Otto Baer in Zeitz, südlich von Leipzig. Er kehrte nach Berlin und in die Gegend in Ost-Berlin zurück, in der er zuvor gelebt hatte. Aufbau, die New Yorker Zeitung, die die jüdische Gemeinde mit Namen von Opfern und Überlebenden versorgte, nahm Ottos Namen und Adresse in ihrer Ausgabe vom 9. November 1945 auf – Otto wohnte in der Hussitenstraße 43, 40 Minuten Fußweg von seiner früheren Adresse entfernt. Zwei Jahre später war derselbe Name im Mitgleidverzeichnis der Jüdischen Gemeinde zu Berlin aufgeführt. Danach verliert sich jede Spur von ihm in den offiziellen Unterlagen, möglicherweise weil das Gebiet, in dem er lebte, unter sowjetische Herrschaft fiel und der Zugang zu den Unterlagen schwierig ist.
Im Dezember 2017 erfuhren wir von Familienmitgliedern – Nachkommen von Klara Baer, Ottos Schwester – dass Otto bis zu seinem Tod 1972 in Ost-Berlin lebte. Wir erfuhren auch, dass Klara den Krieg und den Holocaust überlebt hat. Ihr Ehemann, Mordka „Moritz“ Mendelwicz, überlebte nicht; er wurde kurz vor Kriegsende, im März 1945, im KZ Mathausen ermordet. Klaras und Mordkas Sohn Siegbert überlebte ebenfalls und reiste mit seiner Mutter im August 1948 von Antwerpen nach New York City. Klara und Siegbert Mendelwicz änderten ihre Namen in Claire und Barry S. Mendell. Claire Mendell starb 1977 und Barry Mendell starb 1991.
Zwischen August 1942 und Oktober 1944 wurden achtundvierzig (48) Mitglieder der jüdischen Familien von Themar nach Auschwitz deportiert. Otto Baer, geb. 1895 in Themar, überlebte als einziger von ihnen. Wie er fast 2 ½ Jahre überlebte, werden wir wohl nie erfahren. Vielleicht kann uns jemand, der diese Seite liest, mehr darüber erzählen. Wenn ja, kontaktieren Sie bitte Sharon Meen unter [email protected].
An diesem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz gedenken wir Otto Baer und ehren ihn!
Sources:
Jüdische Gemeinde Marisfeld (Kr. Hildburghausen), Matrikel 1768-1938, Koblenz: Bundesarchiv 1958.
Jüdische Gemeinde Themar (Kr. Hildburghausen), Matrikel 1820-1938, Koblenz: Bundesarchiv 1958.
‚Neue Liste von Juden in Berlin,‘ AUFBAU 9 Nov 1945, vol. 11, Issue 45, p.28
Themar City Archives, Akt 68-d.
Yad Vashem, The International Institute for Holocaust Research, „Transport 24 from Berlin, Germany to Auschwitz Birkenau, Extermination Camp, Poland on 09/12/1942
Wolf, Siegfried. Juden in Thüringen: Biographischen Daten 1933-1945. vol. . 2001
Zentral- und
Landesbibliothek Berlin, Berliner Adressbücher Der Jahre 1799 Bis 1943