Themar – Nicht zum ersten Mal ist Aktionskünstler Gunter Demnig von Köln nach Themar gereist. Bereits im vorigen Jahr hat er hier Stolpersteine zur Erinnerung an ehemalige jüdische Mitbürger verlegt. Gestern war er erneut aktiv, mit elf weiteren Stolpersteinen soll künftig der Familien S. J. Baer und Max und Clara Müller gedacht werden.
Viele Themarer, aber auch Bürger aus anderen Orten des Landkreises wohnten der Zeremonie bei. Allein 25 Gäste aus mehreren Ländern hatten dafür einen weiten Weg auf sich genommen – Enkel und Urenkel der ehemaligen jüdischen Mitbürger von Themar, die den Holocaust nicht überlebt hatten.
Mit bewegten Worten begrüßte Bürgermeister Hubert Böse die Gäste. Leicht fielen ihm seine Worte nicht, als er sich bei den anwesenden Nachfahren im Namen der Stadt entschuldigte für all das Leid, das ihren Eltern, Groß- oder Urgroßeltern in dieser Stadt widerfahren ist. Eine Entschuldigung, dass dies nun schon fast acht Jahrzehnte her sei, könne das auch für die heute Lebenden nicht sein. Unvorstellbar, wie sich Bürger zu ihren Mitbürgern verhalten haben, die über viele Jahre, oft über Generationen hinweg, in dieser Stadt lebten, arbeiteten und sich für das Gemeinwohl eingesetzt haben. Mit der Verlegung der Stolpersteine wolle die Stadt ein Zeichen setzen und ein klares Bekenntnis ablegen, alles dafür zu tun, damit sich so etwas nie wiederholt.
Gemischte Gefühle
Die ehrliche Betroffenheit der Themarer, die zu dieser Veranstaltung gekommen waren, beeindruckte auch die Gäste aus Israel, Kanada und vielen weiteren Ländern. „Heute hier in Themar zu sein, ist nicht einfach für uns – wir alle sind hier mit sehr gemischten Gefühlen“, bekannte Richard Stern, „Es ist immer noch unfassbar zu begreifen, wie die Bürger dieser kleinen Stadt mit einer langen und hochentwickelten Geschichte und Kultur sich gegen ihre Nachbarn wenden konnten und sich mitschuldig machten an deren Vertreibung und Ermordung.“ Umso unverständlicher sei das Geschehene, weil seine Eltern und Großeltern loyale und patriotische Deutsche waren. „Mein Bruder Nick, meine Schwester Naomi und ihr Ehemann Rafal und ich selbst, wir sind hier im Namen aller Juden von Themar und aller Opfer des Holocaust. Wir begrüßen es sehr, dass Themar die Ungerechtigkeiten der Vergangenheit anerkennt und diese Stolpersteine eine ständige Erinnerung sein werden. Wir möchten gleichzeitig den Bürgern von Themar danken für ihre Gastfreundschaft ebenso wie all denjenigen, die den heutigen Tag ermöglicht haben.“
Richard Stern hatte noch ein weiteres Kompliment für die Themarer: „Während unser Vater sicher die Verlegung der Stolpersteine begrüßt hätte – es hätte ihn aber sicher auch noch mehr bewegt, wie offen und ehrlich sich die Deutschen ihrer Geschichte gestellt und ihre Jugend so erzogen haben im Wissen um die belastete Vergangenheit. Diese Handlungen sind umso bemerkenswerter, da einige andere Länder sich immer noch weigern, ihre eigene Komplizenschaft ehrlich anzuerkennen.“
Ein betroffener Blick zurück ist an einem 9. November angemessen. Doch Richard Stern war es auch – neben weiteren Nachkommen ehemaliger jüdischen Mitbürger, die sich zu Wort meldeten – der die Gegenwart nicht ausklammerte und in einen Zusammenhang mit diesem unrühmlichen Kapitel deutscher Geschichte stellte. „Zum Schluss: Wir wertschätzen – und ich bin mir sicher, unser Vater hätte ebenso gedacht – die offene Tür und die Gastfreundschaft, die Deutschland den heutigen Flüchtlingen des Mittleren Ostens entgegenbringt. Durch dieses Handeln haben die Menschen in Deutschland menschlichen Anstand gezeigt und denen geholfen, die nicht aus eigener Schuld leiden – und Deutschland hat dafür ein beeindruckendes Beispiel gegeben. Wir können nur hoffen, dass andere Länder, einschließlich unserer eigenen, bald diesem guten Beispiel folgen.“