Windfege Erzählt Geschichte(n)

Windfege – S. Gassenheimer & Sohn Hildburghausen

Das geerntete und gedroschene Getreide muss von Streu, Unkrautsamen, Ährenteilen und Staub getrennt werden, damit das Korn gemahlen werden kann. Das Prinzip der Getreidesortierung beruht auf den Elementen Luftstrom und Schwerkraft. Per Hand geht es so: Das gedroschene Getreide wird mit einem speziellen Korb (Werfelkorb) am besten bei ausreichenden Windverhältnissen nach oben geworfen. Während die zurückfallenden schweren Getreidekörner vom Korb wieder aufgefangen werden, werden leichtere Stroh- und Staubpartikel vom Wind davongetragen. Die Mechanisierung dieses Vorgangs hat ihr Ursprung in China. Von dort stammen auch die ersten Typen von Getreidereinigungsmaschinen, die nach Europa kamen und im 18. Jahrhundert bereits verbreitet und unter verschiedenen Bezeichnungen im Gebrauch waren: Windfege, Wurfmühle, Kornfege usw. Wenn man heute eine Windfege ausprobiert, erfährt man einen kleinen Teil davon, was der heutige große Mähdrescher erledigt. Aufpassen, es kann schön rattern und knattern und es wird ordentlich was rausgepustet. Unter dem Gesichtspunkt, dass die Leute damit die Ernte eines ganzen Dorfes sortieren mussten, war der Einsatz der Windfege zwar – im Gegensatz zu der oben beschriebenen Handarbeit – eine große Erleichterung, blieb aber immer noch eine mühsame Aufgabe. Dies gab wiederum Anlass für weitere Entwicklungen. Unsere Windfege verfügt bereits über einen Elektromotoranschluss. Das Antreiben der Maschine musste also gar nicht mehr ausschließlich mit der Hand betrieben werden.

Die Windfege kam 1985 in unsere Sammlung (Abb.1). Damals war das Holz des Windgehäuses noch hell blau angestrichen. Um das Holz zu schützen, wurde es mit Halböl (Art Grundieröl) behandelt. Das führte aber dazu, dass sich das Holz dunkelgrün verfärbte. Reste des früheren (vielleicht ursprünglichen) Anstrichs kann man heute oben an der Kante des Einschütttrichters (Abb.2), also an der Öffnung für die Getreideeinfüllung, sehen. Was die formale Eigenschaft betrifft, entspricht unsere Windfege einem in Deutschland bekannten Typus. Der Korpus ist ein auf vier Beinen stehender Holzkasten mit einem zylinderförmigen Windgehäuse aus Holz. In der Trommel befinden sich auf eine Flügelradachse aufgebrachte Holzbretter. Durch das Bedienen der Handkurbel aus Eisen löst man zwei Arten von Bewegung in der Maschine aus. Einerseits wird das Windrad in Rotation gebracht. Der so erzeugte Luftstrom bläst die Spreu aus der Maschine raus. Andererseits wird eine horizontale Bewegung erzeugt, die auf Siebe übertragen wird. Da Korn und Steine mehr Gewicht haben als Stroh und Staub, fallen sie herunter und werden von mehreren Sieben aufgefangen. Durch das Rütteln und durch ihr Gewicht lassen sie sich nach unten fördern und weiter sortieren. So verlassen Korn und weitere Rückstände durch verschiedene Öffnungen (Sortierfächen) die Maschine.

Diese Windfege fügt sich in unsere Ausstellung „Wie die Saat so die Ernte“ als ein Exponat für die Darstellung der (sogar elektro-mechanisierten) Entwicklung der Getreideverarbeitung ein. Den Namen des Herstellers kann man aus der gedruckten Aufschrift auf dem Windradgehäuse entnehmen: „S. Gassenheimer & Sohn Hildburghausen“.

So wie die Windfege Ende des 19. Jahrhunderts ein permanenter Bestandteil der Landwirtschaft wurde, so wurden in Südthüringen die Produkte der Fabrik „S. Gassenheimer & Sohn Hildburghausen“ weithin bekannt. Sogar heute findet man in Scheunen noch in Südthüringen Geräte von entweder „S. Gasseinheimer & Sohn Hildburghausen“ oder „E. Gasseinheimer & Co Themar“.

Unsere Windfege ist aber nicht nur ein Zeuge des landwirtschaftlichen Fortschritts. Dieses Objekt bietet uns einen Zugang zum jüdischen Unternehmertum in Südthüringen, das auf die Herstellung von Produkten ausgerichtet war. Die aus Bibra stammende Familie Gassenheimer betrieb bereits im 18. Jahrhundert Eisenwarenhandel. Mehrere Familienmitglieder erweiterten das Geschäftsmodell und gingen in städtischen Kontexten in die eigene Produktion. Die Brüder Samuel und Salomon Gassenheimer siedelten nach Themar bzw. Hildburghausen und gründeten ihre neuen Unternehmen für landwirtschaftliche Maschinen mit ziemlich ähnlichen Produkten wie Futterschneidemaschinen, Pflüge, Eggen usw. Der Firmenname „S. Gassenheimer & Sohn Hildburghausen“ bezieht sich auf den Kaufmann Salomon Gassenheimer, der aus Bibra nach Hildburghausen umsiedelte und 1892 eine Firma für den Handel und die Reparatur von landwirtschaftlichen Maschinen gründete. Wenn man heute hinter dem Stadttheater in Hildburghausen steht und über die Coburger Straße auf die andere Straßenseite schaut, sieht man nur einen Parkplatz und Bäume. Hier stand damals das erste Kontor von Salomon Gassenheimer mit Werkstatt. Nach dem Tod von Salomon 1898 wurde die Firma von seinen Söhnen geleitet und machte bald einen erheblichen Aufschwung in Richtung eigener Herstellung. 1908 entstand ein neuer Betriebsstandort auf der Wiesenmühle in Hildburghausen. An diesem Standort bauten sie ihre eigene Fabrik für landwirtschaftliche Maschinen mit Dampfsägewerk und Lohnschneiderei. Das Angebot an Produkten erweiterte sich auch im Bereich Lichtinstallationen und Transmissionsgeräte. Unsere Windfege mit Elektromotoranschluss muss aus dieser Periode stammen.

Das Gebiet der ehemaligen Wiesenmühle befindet sich heute in einer Wohnsiedlung in der Stadt und ist Privatgelände. Das Grundstück ist weder zugänglich noch wegen des starken Graszuwuchses sichtbar. Wir können es trotzdem über das Holocaust-Denkmal in der heutigen Gerberstraße verorten. Dieses 2005 errichtete Denkmal (Abb. 3) weist auf die zweite Synagoge von Hildburghausen hin, die dort gestanden hat. Sie wurde von Louis Gassenheimer errichtet. Er hat dazu sein Gartenhaus umgebaut. Dieses Denkmal weist auf die 1938 geschändete Synagoge hin und uns damit aber auch auf das Schicksal der Familie und der Fabrik.

1937 musste Louis Gassenheimer die Fabrik unter Wert an die linientreue Firma „Paul Kätsch Sömmerda“ verkaufen. Louis Gassenheimer wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und ermordet. Die neue Ausrichtung seiner ehemaligen Fabrik diente zunächst der Wehrmacht. Dieser Zeitpunkt markiert auch das Ende der Produktion von landwirtschaftlichen Maschinen, aber noch längst nicht das Ende ihrer Bedeutung für die Metallindustrie in Hildburghausen. Der von der Familie Gassenheimer aufgebaute Standort war etwa 60 Jahre lang ein wichtiger Betrieb für Metallverarbeitung und Holzbearbeitung in der Stadt.

Erika Mosonyi

Literatur und Quellen:

Meen, Sharon: E-Mail vom 09.08.2023 (Dokumentation Museum Kloster Veßra).

Meiners, Uwe: Die Kornfege in Mitteleuropa. Wort- und Sachstudien zur Geschichte einer frühen Landmaschine, Münster 1983.

Schraube & Co. 150 Jahre Metallindustrie in Hildburghausen. Geschichte Tradition Zukunft. Begleitband zur Sonderausstellung, Leipzig und Hildburghausen 2009.

https://judeninthemar.org/de/die-familie-samuel-und-lotte-geb-stein-gassenheimer/ (Zugriff am 10.08.2023).

http://www.schildburghausen.de/geschichte-der-juden/ (Zugriff am 10.08.2023).

https://judeninthemar.org/de/die-familie-von-salomon-und-babette-geb-wolfermann-gassenheimer/.

Interviews:

IW 1 – Telefoninterview mit Sharon Meen. 08.08.2023, Kloster Veßra.

IW 2 – Informelles Interview mit Bernd Ahnicke. 14.08.2023, Hildburghausen.