,,Ein Trip zurück zu den deutschen Wurzeln“

auf Englisch hier
Mittwoch, 13. November 2024
Von Wolfgang Swietek

Viele Jahre haben sich Mitglieder der Familie Gassenheimer aus den Augen verloren — nach 55 Jahren treffen sie sich hier in der Region wieder.

KLOSTER VESSRA. Viele Jahrzehnte reicht die Geschichte der jüdischen Familie Gassenheimer zurück. Bereits im Jahre 1811 findet sich dieser Name in der Region, konkret in Bibra und in Themar. Wer nun der erste Gassenheimer“ hier war, ist auch nach intensiven Forschungen nicht eindeutig nachweisbar. Doch in den letzten zwei, drei Jahrzehnten ist die „Enthüllung der Vergangen- heit verstärkt betrieben worden. Dank vor allem durch Sharon Meen, die auch zu diesem Treffen wieder angereist war.

Mehrere Generationen der Familie, die heute verstreut in den USA leben, haben sich in der vergangenen Woche hier in der Region getroffen, haben die Orte besucht, in denen es nachweisbare Wurzeln der Gassenheimers gibt. Sie haben Hildburghausen besucht und Römhild, waren in Bibra und in Bauerbach, haben die Synagoge in Berkach — alles Orte im Landkreis Schmalkalden-Meiningen besucht, hatten Treffen mit Mitgliedern vom Verein „Themar trifft Europa“, der sich seit Jahren auch mit der jüdischen Geschichte in der Region befasst, und vom Bündnis für Demokratie und Weltoffenheit Kloster Veßra/Themar. Doch auch ins Bayerische sind die Gäste aus den USA gefahren, haben Coburg besucht, weil es auch dort Spuren der Vergangenheit der Familie Gassenheimer gibt.

Beim großen Abschlussabend am Sonntag in der Torkirche des Hennebergischen Museums Kloster Veßra waren dann Zeit und Gelegenheit für einige Gassenheimers, sich den interessierten Gästen mit ihren persönlichen Geschichten vorzustellen. Der Termin am 10. November war sicher nicht zufällig gewählt, ist doch der Tag zuvor, der 9. November, ein geschichtsträchtiges Datum, wie Museumsdirektor Ingo Weidig in seinem Vortrag eindrucksvoll schilderte. Angefangen vom 9. November 1848 mit der Ge schichte um Robert Blum, der Kristallnacht am 9. November 1938, als im Deutschen Reich die Judenpogrome ihren Höhepunkt hatten, die Synagogen und Geschäfte der jüdischen Bürger in Flammen aufgingen und über 30000 von ihnen in die Konzentrationslager und damit meist in den sicheren Tod geschickt wurden.

Dagegen ist der 9. November 1989 mit dem Fall der Mauer ein positives Datum, endete doch damit die deutsche Teilung. Und am 9. November des Jahres 2024 trafen sich in Themar — im Stadtarchiv und in der Regelschule Nachfahren der Gassenheimers, die eine Woche lang auf intensiver Spurensuche ihrer eigenen Vergangenheit waren.

Vielen Gassenheimers gelang die Flucht
Peter Gassenheimer gehört zu ihnen, der Sohn von Albert Gassenheimer und Enkel von Ernst Gassenheimer, die alle in Themar gelebt hatten. Ana Caviglia, weit jüngerer Generation als Peter Gassenheimer, und Susan Marcus erzählten Privates und recht Spannendes aus ihrer Familiengeschichte, wie auch Steve Marcus locker über Vergangenes plauderte. Wer durch sein Leben in den USA der deutschen Sprache nicht mächtig war, konnte sich auf die Übersetzung seines Beitrages durch Peter Gassenheimer verlassen. Ein jäher Bruch in ihrer Familienge-schichte war für die meisten das Jahr 1933 mit der Machtergreifung der Nazis, spätestens dann jedoch das Jahr 1938 mit dem verstärkten Beginn der Judenpogrome. Wem rechtzeitig die Flucht aus Deutschland gelang — wie dies glücklicherweise bei einigen Mitgliedern der Familie Gassenheimer der Fall war, entging dieser Entwicklung und damit meist dem sicheren Tod.

Auf den Spuren jüdischen Lebens
Nicht allein der Familie Gassenheimer, deren Mitglieder heute über die ganze Welt verstreut leben und manche von ihnen sich in dieser Woche zum ersten Mal persönlich kennengelernt haben, widmete sich Museumsdirektor Ingo Weidig in seinem Vor trag. Dennoch befand er: „Gassenheimer das ist eine berührende Geschichte. Sie alle sind zurückgekehrt zu ihren Wurzeln.“ Ingo Weidig blickte weit in die Vergangenheit zurück: „Spuren jüdischen Lebens findet man in Südthüringen häufig, und das bereits im 16. Jahrhundert. Nachweisbar etwa in der Grafschaft Henneberg, als einige Juden als Geldgeber für die Henneberger Grafen tätig waren. Sie erhielten durch Schutzbriefe dafür das Recht, hier sesshaft zu werden. Erst viel später änderte sich der Status der jüdischen Bürger.“

Nachweisbar sei, dass es in Bibra über Generationen hinweg einen jüdischen Eisenwarenhandel gab. Später betrieben sie auch in Themar und Hildburghausen Geschäfte oder Handwerksbetriebe. Spätestens ab dem 20. Jahrhundert verstanden sich die jüdischen Mitbürger als Deutsche, die ihr Land mit aufbauen und gestalten wollten. Dies änderte sich jedoch schlagartig mit der Machtergreifung der Nazis im Jahr 1933. Um aber all die Dokumente, die inzwischen über die Wurzeln der jüdischen Geschichte zusammengetragen worden sind, im Hennebergischen Museum zu zeigen, dazu reichen weder die Lagerkapazitäten noch die räumlichen Möglichkeiten aus, gestand der Mu- seumsdirektor ein.

Sammelzentrum im Ex-Porzellanwerk
Doch er hatte eine gute Nachricht: Derzeit werde ein neues Sammlungszentrum Henneberger Land aufgebaut, das im Mai 2025 fertig sein soll. Es wird in den Räumlichkeiten der ehemaligen Porzellanfabrik eingerichtet, und das in Zusammenarbeit mit der Stiftung Thüringer Schlösser und Gärten. „Sorry for a long time“ entschuldigte sich Ingo Weidig am Ende seines Vortrages. Doch langweilig wurde sein Vortrag wohl kaum einem der interessierten Zuhörer.

Foto: Wolfgang Swietek
Foto: Wolfgang Swietek