Kriegsende in Europa u. eine jüdische Familie aus Themar

Norbert Müller am 7. Mai 1945 in Hamburg. Mit freundlicher Genehmigung: Norman und Steven Müller

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Am 7. Mai 1945 kapitulierte Deutschland in Reims, Frankreich, bedingungslos vor den Alliierten und beendete damit den Zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich. An diesem Tag befand sich Norman Miller, geboren 1924 als Norbert Müller, ein Soldat der britischen Armee, in Hamburg und bewachte einen Kontrollpunkt zwischen dem amerikanischen und dem britischen Sektor in der Stadt. Die deutsche Armee hatte gerade vor den Alliierten kapituliert und damit den Krieg in Europa beendet. (Der Krieg wurde im Pazifik bis August 1945 fortgesetzt.) Er sollte eine Schlüsselrolle bei der Verhaftung eines Täters spielen, wie Richard Sandomir in seinem Nachruf in der New York Times zu Normans Tod im Jahr 2024 berichtet.

Als ein brauner Opel, der unberechenbar gefahren war, an der Kontrollstelle angehalten werden musste, sagte einer der vier Männer im Fahrzeug, er habe Papiere, die Feldmarschall Bernard Montgomery unterschreiben müsse. Obwohl ein deutscher Polizist sagte, die Papiere sähen „in Ordnung aus,“ wurde Norman um Hilfe gebeten.

Als Norman sich die Papiere ansah, wurde ihm klar, dass „wir hier einen großen Nazi-Fisch haben.“ Der große Fisch war Herr Seyss-Inquart, dessen Namen und Gesicht Norman aus den Zeitungen kannte. Als Reichskommissar für die von Deutschland besetzten Niederlande war Seyss-Inquart für die Deportation Tausender niederländischer Juden in Konzentrationslager verantwortlich gewesen. Eine ähnliche Funktion hatte er in Polen ausgeübt, wo er für eine Politik bekannt war, die die Verfolgung der Juden begünstigte.

Seyss-Inquart wurde verhaftet; das alliierte Militärtribunal in Nürnberg verurteilte ihn wegen Kriegsverbrechen und er wurde am 16. Oktober 1946 gehängt.

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Eintrag im Marisfelder Judenregister für die Familie von Salomon Müller und Karoline Friedmann. Von den 8 Geburten waren 3 Totgeburten, und Samuel, geb. 1846, starb 1848.

Norman Miller war der Ur-Ur-Enkel von Salamon und Karoline (geb. Friedmann) Müller, einer der Gründerfamilien der jüdischen Gemeinde Themar. Salamon und Karoline hatten 8 Kinder, die alle in dem Dorf Marisfeld geboren wurden. Aber nur vier erreichten das Erwachsenenalter: Dina (1844-1915), Mayer (1849-1907), Nathan (1851-1923) und Simon (1854-1911).

Mitte der 1860er Jahre zogen Salamon und Karoline nach Themar, wo sie in der Bahnhofstraße in der Nähe des Marktplatzes das Kaufhaus S. M. Müller eröffneten.

Mayer Müller blieb in Themar und übernahm das Geschäft nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1890. Seine Geschwister — Dina, Nathan und Simon — lebten, heirateten und gründeten Familien in anderen Orten als Themar. Dina heiratete Moses Walther und zog nach Hildburghausen; Nathan blieb in Marisfeld, seinem Geburtsort, und Simon zog nach Meiningen. Alle vier starben in den ersten Jahrzehnten der 1900er Jahre.

Vor 1933 war die Familie Müller eine Familie der Migration innerhalb Deutschlands, aber nicht der Emigration aus Deutschland heraus. Und so wuchs die Familie durch Heirat und Familiengründung weiter. Als am 30. Januar 1933 das Naziregime begann, lebten mindestens 76 Müllers in Deutschland. Die meisten von ihnen lebten in Thüringen; einige Familien lebten auch in Hessen und Bayern.

Zwischen dem 30. Januar 1933, dem Beginn des Nazi-Regimes, und dem 16. Oktober 1941, als die ersten Deportationen aus Deutschland in die Ghettos im besetzten Polen begannen, veränderte sich das Wesen der Familie Müller. Die meisten, wenn nicht alle, begannen ihre Flucht zu planen. Der erste, der ging, war die Familie von Max Walther, geboren 1904 in Hildburghausen, Enkel von Dina Walther (geb. Müller). Im Jahr 1934 ging Max mit seiner Frau Karoline (geb. Greiner) und den zweijährigen Zwillingen Max und Siegmund nach Palästina. Im 1937 folgten Maxs Vater und Mutter, Albert und Minna (geb. Linz) Walther, ihnen.

29. August 1941: Max und Karoline Walther werden Bürger von Palästina.

Andere folgten, aber die Entscheidung, wohin sie gingen, hing von Kräften ab, die sich ihrer Kontrolle entzogen, wie z. B. Einwanderungsquoten oder völlige Verbote, die von Ländern wie Argentinien, den Vereinigten Staaten, England usw. erlassen wurden. Sehr schnell fanden sich die Müllers, die Zuflucht finden konnten, über die ganze Welt verstreut: England (3), in europäischen Ländern wie Schweden (1), Dänemark (1), den Niederlanden (6) und in weit entfernten Ländern wie Argentinien (4), Australien (3), Shanghai (2), Pälestina (8), und die USA (13).

Der 15-jährige Norbert Müller, Jahrgang 1924, verließ Deutschland 1939 im Rahmen des Kindertransportprogramms nach England, ohne zu wissen, dass er als britischer Soldat nach Deutschland zurückkehren würde.

Die Mitglieder einer Familie konnten sich an verschiedenen Orten wiederfinden. Die drei Kinder von Siegmund und Rosa Müller (1876-1932), zum Beispiel, lebten in drei Ländern: England (Margarete, geb. 1905), Australien (Karola, geb. 1908), und den Vereinigten Staaten (Martin, geb. 1909). Die drei Söhne von Max II. und Clara Müller lebten ebenfalls in den Vereinigten Staaten (Herbert), Schweden (Meinhold) und Palästina (Willi).

1935: Familie von Clara und Max Müller II. Söhne: L/Herbert – M/Meinhold – Willi. Mit freundlicher Genehmigung: Familie H. Müller

Insgesamt 49 Müllers lebten im Oktober 1941, als die freiwillige Auswanderung verboten wurde, in anderen Ländern. Darunter befanden sich zwei Familien, die in den Niederlanden lebten und hofften, dass das Land wie im Ersten Weltkrieg seine Neutralität bewahren würde.

Aufzeichnung über die Emigration von Recha (geb. Walther) Süssmann von Berlin nach Spanien am 9. September 1941. Archiv Arolsen.

Die letzte, die Deutschland verlassen konnte, war die 64-jährige Recha Süssmann, geb. Walther, die am 8. September 1941 Berlin verließ und in einem versiegelten Zug nach Spanien fuhr.

Am 18. Oktober 1941 verließ der erste Zug Berlin mit über 1000 Juden in Richtung Osten zum Ghetto Litzmannstadt in Lodz.

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In den vier Jahren der Deportation und Ermordung wurden 32 Nachkommen von Salamon und Karoline (geb. Friedmann) in Ghettos, Konzentrationslager und Tötungsanstalten deportiert. Diejenigen, die sich noch in Thüringen befanden, wurden mit den beiden großen Transporten aus diesem Bundesland deportiert, dem ersten am 10. Mai 1942 in das Ghetto Belzyce, zu dem Clara und Max Müller II und sechs weitere Müllers gehörten, und dem zweiten am 19. und 20. September 1942 in das Ghetto Theresienstadt, zu dem Frieda und Max Müller I gehörten. Im Februar 1943 wurde eine der Familien in den Niederlanden — Käthe Wurms (geb. Nussbaum), ihr Ehemann und ihre kleine Tochter Altje — vom Durchgangslager Westerbork nach Auschwitz transportiert und ermordet. Im selben Jahr wurde der 42-jährige Semi Müller 1943 in einer Euthanasieanstalt in Schmalkalden/Südthüringen ermordet. Im August 1944 verlor Rita (geb. Walther) Dressel den Schutz ihrer Ehe mit einem Nicht-Juden, als Karl Dressel starb; sie und ihre beiden kleinen Kinder Walter und Margot wurden ins Ghetto Theresienstadt gebracht. Gertrud (geb. Walther) Heim, ebenfalls die Witwe eines Nicht-Juden, wurde im Januar 1945 von Berlin ins Ghetto Theresienstadt deportiert.

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Doch am 8. Mai 1945 waren Rita, Walter und Margot Dressel noch am Leben, ebenso wie Gertrud Heim. Sie wurden am 8. Mai 1945 von der russischen Armee im Ghetto Theresienstadt befreit. Rita, Walter und Gertrud kehrten nach Deutschland zurück: Gertrud verließ 1951 Ostdeutschland und ging nach Westdeutschland; Rita zog nach Frankfurt a/Main wo sie im 1983 starb. Walter zog nach Greifswald im Nordosten Deutschlands wo er im 2012 starb. Margot zog nach Israel, wo sie heiratete und eine Familie gründete.

Anderswo im besetzten Europa lebte die Familie von Sebald Müller, dem Sohn von Simon Müller, der den Krieg und den Holocaust in den Niederlanden überlebt hatte. Wie, das wissen wir noch nicht: 1939 wurde Sebald aus dem Konzentrationslager Dachau entlassen, wo er seit der Kristallnacht inhaftiert war. Er verließ mit seiner Frau Hertha (geb. Heinemann) und ihrer Tochter Ursula Meiningen und zog in die Niederlande. Sebald war Chemiker — ist es möglich, dass dieses Fachwissen der Familie das Überleben ermöglichte? Sebald lebte nach Kriegsende nur noch einige Wochen und starb am 15. Juni 1945. Karoline und Ursula blieben in den Niederlanden; Hertha starb 1983 und Ursula 1999.

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Die anderen 37 Nachkommen waren in der ganzen Welt verstreut. Die Suche nach den Vermissten hatte oberste Priorität, dicht gefolgt von der Suche nach den Liebsten, wo immer sie auch sein mochten.

Foto von Willi Müller in Einbürgerungsanträge für das Mandatsgebiet Palästina, 1937-1947

PALÄSTINA: Acht Müllers waren vor der Kristallnacht/ Reichspogromnacht im November 1938 nach Palästina eingewandert. Sechs stammten aus der Familie von Dinas ältestem Kind Albert Walther.

Die beiden anderen kamen als junge, alleinstehende Männer nach Palästina: Werner Müller, Sohn von Hermann Müller (1878-1942) und Bella (geb. Meyburg), kam am 22. September 1935 nach Palästina. Werner war 25 Jahre alt. Im Jahr 1948 verlor Werner sein Leben im arabisch-israelischen Krieg.

Der andere war der 16-jährige Willi Müller, Sohn von Max II und Clara (geb. Nussbaum) Müller, der im Rahmen der Hachschara-Bewegung kam, um deutschen jüdischen Jugendlichen bei der Ausreise aus Deutschland zu helfen. Willi kam Herbst 1938 in Palästina an. Er heiratete eine deutsch-jüdische Frau, Ruth Meyersohn, geb. 1922, in Rügenwalde/Pommern. Willi lebte bis 2013.

Fahrkarte für Julius Müller von Schweden nach Dänemark. Privat Besitz

SCHWEDEN: Zwei Urenkel waren am 8. Mai 1945 in Schweden: Julius Müller und Meinhold Müller, beide 1919 geboren. Julius war der Sohn von Leopold und Pauline (geb. Steindler) Müller und Meinhold der Sohn von Max II und Clara (geb. Nussbaum) Müller. Beide waren über Umwege nach Schweden gekommen: Meinhold hatte Themar 1935 verlassen und war als Teil einer Hachschara-Gruppe nach Italien gereist; 1938 hatte er Italien verlassen und war nach Schweden eingewandert. Julius hatte Themar verlassen und war nach Dänemark gegangen. 1943, als die Nazis planten, die Juden in Dänemark zusammenzutreiben, wurde Julius nach Schweden gebracht und war dort, als der Krieg endete.

Nach dem Krieg trennten sich jedoch ihre Wege: Julius verließ Schweden. Als der dänische König alle Juden, die Dänemark 1943 verlassen hatten, in seiner Heimat willkommen hieß, beschloss Julius, dies anzunehmen — wie sein Sohn erzählt, „hatte ihn noch nie jemand eingeladen, irgendwo zu leben.“ Am 29. Mai 1945 durfte Julius nach Dänemark zurückkehren. Er heiratete Lissa Anderson, und zwei ihrer Söhne sind seit den 2000er Jahren Teil des Lebens in Themar geworden.

1947: Ehe von Rebecka Liwerant u. Meinhold Müller. Privat Besitz

Meinhold blieb in Schweden und heiratete Rebecka Liwerant, eine Überlebende der Ghettos und Konzentrationslager der Nazizeit, die vom Roten Kreuz nach Schweden gebracht wurde.

SPANIEN: Man glaubt dass Recha Süssmann, geborene Walther, am 8. Mai 1945 lebte. Aber bis heute wurden keine Spuren ihres Nachkriegslebens entdeckt.

ENGLAND:
Margarethe Müller, Tochter von Siegmund und Rosa (geb. Freudenberger) Müller, lebte am 8. Mai 1945 in England. Es war ihr gelungen, Deutschland zu verlassen und nach Großbritannien einzureisen. Im Register für England und Wales vom September 1939 wohnte sie in der Arkwright Road 19 in Surrey, England. Am 15. Mai 1941 heiratete sie Lothar Friedmann, geb. 1900 in Erfurt, einen deutschen jüdischen Flüchtling. Lothar war nach der Kristallnacht/Reichspogromnacht im November 1938 im Konzentrationslager Buchenwald inhaftiert worden. Er reiste vor Beginn des Zweiten Weltkriegs nach England ein. Als er am 16. November 1939 vor dem Feindausländer-Tribunal erschien, wurde er zunächst von der Internierung befreit. Doch als die deutsche Armee im Juni 1940 Frankreich eroberte, wurde Lothar zusammengetrieben und bis Oktober 1940 in England interniert. Lothar änderte seinen Namen in Lawrence Freeman; er und Margaret bekamen einen Sohn, Stanley, und blieben für den Rest ihres Lebens in England. Lawrence starb 1983; Margaret heiratete nicht wieder und starb 2003. Ihr Sohn Stanley Freeman wohnt in Israel mit Frau, und sie haben eine Familie von Kindern und Enkelkindern.

Karteikarte des Enemy Aliens Tribunal für Lothar Friedmann, Ehemann von Margaret Müller. Quelle: Ancestry.com
Erich Neumann. Privat Besitz.

Erich Neumann, der Ehemann von Fränze Müller (geb. 1910), war ebenfalls in England. Nach seiner Entlassung am 28. Dezember 1938 aus der Haft im KZ Dachau nach der Kristallnacht/Reichspogromnacht war es Erich im Juli 1939 gelungen, Deutschland zu verlassen und durch die Unterstützung des Kitchener Camp Scheme nach England zu gelangen. Im Lager, so erzählt seine Nichte Fredel Fruhmnn, „arbeitete Erich als Kellner und als Gabbai (Aufseher) für die orthodoxen Gottesdienste; er war an der Beschaffung von Lebensmitteln für diejenigen beteiligt, die koscher lebten.“

Als das Kitchener-Lager geschlossen wurde, wurde Erich auf der Isle of Man interniert, wo er als „Hausleiter“ für eines der Häuser fungierte, in denen über 50 orthodoxe Männer lebten; er war maßgeblich an der Beschaffung koscherer Lebensmittel beteiligt.

Ende 1940 verließ Erich die Isle of Man und lebte dann an verschiedenen Orten in England, wo er als Lehrer und Sekretär an einer Reihe von Schulen und Synagogen tätig war; seine letzte Stelle in England war die des Sekretärs der Willesden Synagogue in London.“ Er war dort, als der Krieg endete.

Seine Frau Fraenze und die beiden kleinen Söhne Ludwig und Wolfgang konnten ihn nicht begleiten und wurden 1943 in Auschwitz ermordet. Erich verließ England am 12. Juni 1947 mit dem Schiff Marine Falcon in Richtung Vereinigte Staaten. In New York City heiratete er erneut und wurde Vater von zwei Töchtern.

AUSTRALIEN
Karola Müller
, geb. 1908 in Arnstadt, war das zweite Kind von Siegmund u. Rosa Müller.

Am 6. Juni 1935 heiratete Carola in Berlin Gerhardt Meyer, der aus Letzkauerweide bei Danzig stammte und deshalb ein polnischer Staatsbürger war. Im 1937 wohnten Carola u. Gerhard in Berlin wo eine Tochter, Ruth, wurde am 4. März geboren.

Carola und Gerhard begannen 1938 ihre Auswanderung zu planen. Am 18. August 1938 erhielt die Familie einen Pass von Danzig und im September oder Oktober 1938 erhielten sie eine „Landeerlaubnis,“ die ihnen die Einreise nach Australien ermöglichte. Am 16. Januar 1939 gab der britische Konsul in Berlin den Meyers die Erlaubnis, nach Großbritannien einzureisen, um von Liverpool nach Melbourne in Australien zu fahren. Am 26. Februar 1939 segelten Karola, Gerhard und Ruth von Liverpool ab. Sie kamen am 4. April 1939 in Melbourne an.

Am 10. März 1942 meldete sich Gerhard bei den ,, Australian Military Forces“ und diente zwei Jahre lang bis 17. Mai 1944. Nach seiner Entlassung beantragte er am 7 Juli 1944 die australische Staatsbürgerschaft und wurde ein Jahr später — am 30. Juli 1945 — Australier. Karola stellte ihren eigenen Antrag.

Karola starb am 29. Juni 1988, Gerhard (als Gerhardt) starb am 23. Juni 1997. Ruth heiratete David Black und gründete eine Familie. Sie erfuhr, dass ihre Mutter den Kontakt zu ihren Geschwistern Margaret in London und Martin in den Vereinigten Staaten aufrechterhalten hatte, und begann, diese Verbindungen weiterzuführen.

ARGENTINIEN
Eine Familie Müller verließ Deutschland und fand Zuflucht in Buenos Aires. Es handelt sich um die Familie von Albert Müller, geb. 1878 in Themar, seiner Frau Martha Vollmann, geb. 1884 in Meiningen, und ihren beiden Kindern Margot, geb. 1908 und Hans, geb. 1911. Die Kinder wurden in Arnstadt geboren, wo die Familie lebte und wo Albert mit seinem Bruder Siegmund ein Geschäft betrieb. 

Albert und seine Familie verließen Deutschland im Jahr 1937. Sie ließen sich in Buenos Aires nieder. Albert starb am 14. Mai 1945, nur wenige Tage nach dem Ende des Krieges. Martha blieb bis zu ihrem Tod im Jahr 1976 in Buenos Aires.

Sowohl Hans als auch Margot heirateten und beide heirateten deutsche Juden, die wie sie in Argentinien Zuflucht gefunden hatten.

Hans heiratete Babette Bärbel Mayer, geb. 1915 in Ichenhausen/Bayern. Bärbels Vater Leopold starb zu Hause in Deutschland im Januar 1939; ihre Mutter Thekla konnte mit ihrer Tochter nach Argentinien auswandern, wo sie bis 1989 lebte.

Margot heiratete Curt Feibelmann, geb. 1903 in Obermoschel/Rheinland, der 1933 in einem der ersten Konzentrationslager, Sachsensburg, inhaftiert worden war. KZ Sachsenburg lag in Frankenberg, Sachsen, in der Nähe von Chemnitz und war ,,das wichtigste und am längsten von der SS betriebene frühe Konzentrationslager in Sachsen. Es wurde von den Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 errichtet, um ihre politischen Hauptgegner, insbesondere Kommunisten, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, auszuschalten. Das Lager war eine verlassene vierstöckige Textilfabrik, die im Mai 1933 renoviert wurde, um als ,Schutzhaft‘-Einrichtung für Dissidenten wie die Zeugen Jehovas zu dienen, die sich dem Nazi-Regime widersetzten.“

Wie lange Kurt in Sachsenburg war und wann er aus Deutschland fliehen und nach Argentinien auswandern konnte, ist noch nicht bekannt. Die nachstehenden Dokumente mit Fotos von Margot und Curt sind auf 1949 datiert. Sie sind beide als deutsche Staatsbürger ausgewiesen. Los visados de turista para Brasil de 1956 identifican tanto a Margot como a Curt como ciudadanos argentinos. Die Sterbedaten von Margot und Curt sind noch nicht bekannt.

Einwanderungskarte für Margot Feibelmann geb. Müller u. Curt Feibelmann. Quelle; Ancestry.com. Rio de Janeiro, Brazil, Immigration Cards, 1900-1965

SCHANGHAI
Die Auswanderung von Karl und Recha Müller nach Shanghai war Teil der Migration einer anderen Familie, nämlich der der Familien Schwab u. Rosengarten. Karl Müller, der jüngste Sohn von Mayer Müller, wurde 1886 in Themar geboren. Er war Partner von Oskar Schwab (auch im Themar geboren) im Bekleidungsgeschäft in Schleusingen. Karl und Oskar wurden beide in der Kristallnacht verhaftet und in Buchenwald in sogenannte ,,Schutzhaft“ bis zum 6. Dezember 1938 in Buchenwald inhaftiert.

Unmittelbar nach seiner Entlassung begannen die Pläne zur Auswanderung. Oskar Schwab konnte die Auswanderung für sich und seine Frau Frieda Schwab, geb. Steindler, sowie für seine Schwester Berta Rosengarten, geb. Schwab, und Bertas Ehemann Paul Rosengarten und ihre beiden Söhne Manfred und Erich finanzieren.

Die beiden Mullers, die vier Rosengartens und zwei Schwabs verließen Deutschland im Mai 1939 in Richtung Italien. Sie segelten von Genua nach Shanghai. Sie lebten im Ghetto von Shanghai, bis der Krieg am 2. September 1945 im pazifischen Raum endete. Alle drei Familien wollten China verlassen, brauchten aber eine Genehmigung für die Einreise in die Vereinigten Staaten. Dies geschah erst 1947.

Am 30 April 1943 verließen Recha und Karl Shanghai, segelten nach San Francisco und ließen sich schließlich in Hartford, Connecticut, nieder, wo auch Oskar und Frieda lebten. Karl starb im Alter von 92 Jahren, Recha in 1986.

Schiffsmanifest für die Ankunft von Karl und Recha Müller aus Shanghai in San Francisco. Quelle: Ancestry.com, California Passenger and Crew Lists, 1893-1957

VEREINIGTE STAATEN
Achtzehn (18) Müller befanden sich am 8. Mai 1945 im Osten der Vereinigten Staaten.

Acht waren die Nachfahren von Mayer Müller und seine Frau Babette Friedmann. Martin Müller war der einzige Sohn von Siegmund Müller und seine Frau Rosa Freudenberger. Er war der Bruder von Margarete, die nach England gegangen war, und von Karola, die nach Australien gegangen war. Im Jahr 1936 flohen er und seine Frau Mary nach Frankreich. Sie lebten in Nizza, wo 1939 ein Sohn geboren wurde. Endlich am 19 Mai 1940 konnten sie schließlich Frankreich verlassen und in die Vereinigten Staaten gehen. Sie ließen sich in Chicago wo Martin im 1985, Mary 10 Jahre später starben.

Fritz Häusler war der Sohn von Karoline Häusler, geb. Müller, und Leopold Häusler. Im November 1939, Fritz reiste mit seiner Frau Rosa (geb. Rapp) und ihr kleines Kind Gisela. (Rosa Häuslers Eltern konnten auch in die USA fliehen.) Fritz‘ Stiefbruder, Erich Häusler, der Sohn von Leopold Häusler und Berta Rosenthal, seiner zweiten Frau, konnte auch mit seiner Frau Paula Frank ebenfalls in die Vereinigten Staaten einreisen.

Zehn waren Nachfahren von Nathan Müller und seine Frau Bertha Schwed. Sie waren alle als Familienverbände gekommen: Sitta Amram, geb. Nussbaum, Tochter von Else Nussbaum, geb. Müller, ihr Mann Meinhardt und ihr kleiner Sohn Manfred. Die 54-jährige Else, eine Witwe, wanderte mit der Familie ihrer Tochter aus. Bella Goldmeier, Tochter von Karoline Goldmeier, geb. Müller, ihr Mann Moritz Goldmeier und ihre kleine Tochter Esther. Herbert und Flora (geb. Wolf) Müller, und die Mutter von Flora, Frieda Wolf, geb. Mayer. Im 1943, bekamen Herbert u. Flora eine Tochter.

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Und so kehren wir zu dem 21-jährigen Norman Miller zurück, der am 7. Mai 1945 in Hamburg Wache schob. Er wurde 1947 entlassen und verließ England im folgenden Jahr in Richtung New York, wo er innerhalb weniger Tage einen Zug nach Toronto nahm. Im September 1949 kehrte er nach New York zurück und arbeitete dort viele Jahre lang als Werkzeug- und Formenbauer, hauptsächlich in der Bronx. 1951 heiratete er Ingeborg Sommer, die 1938 mit ihrer Familie Deutschland verlassen hatte. Sie starb im Jahr 1996.

In einem Interview mit WNBC-TV in New York erzählte er die Geschichte der Verhaftung von Seyss-Inquart. Norman sagte, dass die Verhaftung ihm keine große Genugtuung verschafft habe. „Ich meine, ich war nicht überglücklich. Es hat nicht dazu beigetragen, meine Eltern und meine Familie zurückzubringen.“

Am 24 Februar 2024, Norman Miller starb. Er war fast 100 Jahre alt.  Die Sammlung von seinen Briefen, Tagebücher sind im USHMM zu finden.

richard Sandomir, „Norman Miller, German Refugee Who Helped Arrest a Top Nazi, Dies at 99,“ New York Times, 05 April 2024