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Brief von Manfred Rosengarten an Karl Saam (Kalifornien, 23.08.1983) (Text)

San Martinez, Kalifornien, 8.8.1983

Sehr geehrter Herr Saam!

Es ist nicht einfach diesen Brief zu beginnen. Ich hätte schon seit ein paar Monaten an Sie schreiben sollen. Um Pfingsten herum, fuhren ein paar Freunde durch Themar, welche damals mit Ihnen gesprochen haben und durch welche ich Ihre Adresse bekam. Sie schrieben mir, dass Sie sich noch auf meine Familie entsinnen können. Ich bin Manfred Rosengarten und wurde im Jahre 1921 im Hause des Urhmacher Saams, welcher wahrscheinlich Ihr Vater war, geboren. Meine Grosseltern, Abraham und Regina Schwab, mieteten eine Wohnung in diesem Haus und meine Eltern, Paul und Berta Rosengarten, lebten dort mit ihnen. Meine Mutter sagte immer als ich noch klein war, dass ich wahrscheinlich ein Uhrmacher oder ein Koch werden wurde. Na es hat sich ja auch beinahe erfüllt, ich bin ein Goldschmied geworden und kochen kann ich auch.

Ich möchte Ihnen nun kurz mal erzählen was so aus einigen Themarer Juden geworden ist. Meine Eltern, mein Bruder Erich und ich sind damals nach Schanghai, China entkommen, wo wir 8 Jahre im Flüchtlingslager gewohnt haben. Auch der Moritz Sachs, sein Sohn Fedor, und seine Tochter Anna und ihr Mann sind dort hingekommen. Wir sind dann alle, nach dem Kriege, nach den Vereinigten Staaten ausgewandert. Haben uns alle in San Francisco wieder getroffen. Der alte Moritz und meine Eltern sind natürlich schon lange tot. Von den anderen habe ich schon lange nichts gehört. Auch Hilde Sachs ist von Südafrica hierhergekommen. Vor ein Paar Jahren, kurz vor seinem Tode, traf ich Herbert Gassenheimer und seine Schwester Lotte Rosenbaum und Sohn Walter, die sind jetzt in New York. Habe mal vor vielen Jahren von Marion Sander gehört, Robert Sachs hatte gang jung einen Schlaganfall und soll in Israel leben, wenn er noch lebt. Herbert, Meinhold, und Willi Müller sollen auch überlebt haben.

Es wundert mich immer, was so aus meinen ehemaligen Schulkamaraden und Spielgefährtin geworden ist.

Vor allen Dingen möchte ich auch wissen, ob der alte Hass noch besteht. Ich habe schon lange meinen Hass abgelegt vergeben aber vergessen kann ich nicht. Ich stelle mir immer vor dass wenn ich mal jemanden, den ich treffen und erkennen würde, aus vollem Herzen lachen würde. Ich möchte gerne wissen, ob sich jemand noch auf mich entsinnen kann, mein Bruden and ich haben uns genug mit manchen rumgekeilt.

Mein Bruder lebt mit seiner Frau in Boston, er ist ein Wurstmacher, hat einen Betrieb geleitet. Er hat einen Sohn und eine Tochter. Ich habe auch einen Sohn und eine Tochter. Der Sohn ist ein Schullehrer, im Sommer während den Ferien geht er auf den Fischfang, er hat ein Fischerboot, er fängt Laxe und fischt in NW von Kanada in der Nähe von Alaska. Er hat zwei Jungen. Meine Tochter ist eine Schriftstellerin.

In all diesen Jahren habe ich oft an Themar gedacht, habe sogar oft davon geträumt. Leider habe ich es nicht geschafft, auf Besuch zu kommen. Es ist mir nicht gelungen genug Geld zusammen zu kratzen um es mir leisten zu können und jetzt bin ich auch gesundheitlich nicht mehr in der Lage, habe einen Raubüberfall überlebt und habe immer noch circa 200 Schrotkörner in meiner Schulter, auch mein Herz ist kaput, hatte eine Herzenoperation. So muss ich nun auf Vieles verzichten.

Es hat mich immer gewundert, of die alte Synagoge auf der Hilburghäuser Strasse, damal während der Kristallnacht, abgebrannt wurde. Auch ob noch etwas von der alten Gemeinde, ausser dem Friedhof in Marisfeld, wo mein Grossvater her war, noch etwas geblieben ist. Hätte gern ein Andenken, auch von der Stadt, habe nicht einmal eine Ansichtskarte.

Von meinigen Schulkameraden, Nachbarn und Spielgefährten errinere ich mich noch an Karl Heinz Kerner, sein Vater hatte das Hotel “Drei Rosen,” Walter Wallburg, Fritz Öhrlein, Werner Damme, Horst Pfaff, Horst Störmer, Bodo Hofmann, Siegfried oder Siegmuch Schwartz, Margarethe Reinhard und ihr Freund, Irmgard Köte, Erich und Erika Lehmann, Marianne Weber, mein Freund Schubert der auf der Meiningerstrasse gewohnt hat, leider habe ich den Vornahmen vergessen. Der Sohn des Oberlehrer Stapf, Anneliese Birkigt, Roswita Ziegert unsere Klassenschönheit. Enkelkinder von Seiler Papst und alle in der Mauergasse [Mangergasse] wo wir bei Seiler Papst gewohnt haben, den Willi Förster, sein Vater war bei Heuberg [Brauerei].

Von meinen Lehren, manche waren gut und manche waren böse. Nenne ich noch Bätz, Stapf, Schindhelm, Ziegert, Fräulein Pfanne und Kirchner. Von Themarer Typen erinnere ich mich noch an den “Heilichen Gustav”, den krumbeinigen Kranz, den einäugigen Förstermeister, den alten Avokat und Rechtsverdreher, denm wir immer, Mei schnappmesser Markfutzig, markfutzig” nachgerufen haben, den Erich von Nordheim der Accordion gespiet hat, den Max Rüger, den altern, der mit seinem grün-weissen Fähnchen, den Schützenzug beim Schützenfest angeführt hat, die “Huscher Metha,” die geheult hat, wenn der “Husch” verloren hat. Heun’s Puppchen und den alten Ziegenbock, Frau Vogt von der Beamteschule, den Maler Klett, sine Tochter Elfriede is auch mit mir in die Schule gegangen ist, und viele viele andere.

Von den Sehenswürdigkeiten, sehe ich heute noch vor meinen Augen das Kloster Vessra, die Osterburg, den Iltenbgerg, den Eingefallenen Berg, das Eisloch, die Rote und die Grüne Villa, die Brücke über did Werra, die Steinerne Kirche, die Dicke Eiche, das Birkenwäldchen, die Kirche und das Denkmal 1870/71, das Kriegerdenkmal 1914-1918, wo man die Namen der Kahnjungens ausgemeiseld hatte, die waren ja Juden und so sind sie natürlich nicht für ihr Vaterland gefallen. . . , das Denkmal für Walter von der Vogelweide im Birkenwäldchen, und den Steinbruch, den Apfeldberg mit Segelflugplaten, den Weissbach, wo mein Vater mitgeholfen hat, die Überschwemmungen zu veringern.

Sonst is wohl immer noch alles dassebe und “Die Eisenbahn Maschinerie, die fährt den Werrgrund ˙ahnre hie, mit Mensche, Säue und anner Vieh.”

Das ist jetzt der längste Brief, den ich je in meinem Leben geschrieben habe, also will ich mal Schluss machen. Hoffentlich entschuldigen Sie mein Fehler und meine schlechte Handschrift und vielleicht höre ich mal von Ihnen, auch würde ich mich freuen wenn jemand von sich hören liesse.
Ich wünsche Ihnen gute Gesundheit und verbleibe Hochachtungsvoll Ihr ehemaliger Mitbürger.

Es wundert mich immer, was so aus meinen ehemaligen Schulkamaraden und Spielgefährtin geworden ist.
Vor allen Dingen möchte ich auch wissen, ob der

Manfred Rosengarten